Kategorie: Yulis Tagebuch

  • Yulis Tagebuch, Folge 31

    Das Entführungsvideo und Der 26. Mai 2024

    Heute brachte mein Sohn einen „Kumpel“ aus dem Kindergarten mit. Fünf Minuten später hörten wir laute Explosionen über unseren Köpfen. Zwei verängstigte Kinder rannten zu mir. Noch erschüttert von den Sirenen sagte ich ihnen mit einem gezwungenen Lächeln: „Alles ist gut Kinder, ich denke, dass es schon vorbei ist.“

    Seit Mittwoch, nachdem ich das Video von den entführten Mädchen gesehen habe, habe ich keine Kraft mehr, mich über meine Angst, meinen Schmerz oder irgend etwas zu beschweren. 

    Ich bin zu Hause, ohne dass eine geladene Waffe auf auf meinen Kopf gerichtet ist. Ich gehe in mein Bett ohne Angst um meinen Körper.

    Ich bin mir bewusst mit Euch nicht über die Vergewaltigung der jungen Frauen gesprochen zu haben. 

    Mit der Zeit, und mit den neuen Zeugnissen, wird es allerdings noch schwieriger, die Dinge zu verdauen. Es fällt mir schwer, näher darauf einzugehen und mich eingehend damit zu befassen. Jeder Versuch über die Vergewaltigung zu schreiben, löst einen schnellen Herzschlag aus und mir wird auf einmal übel. 

    Aber ich möchte unbedingt darüber etwas schreiben, und deshalb habe ich mich entschlossen, die Reaktionen der Eltern auf das zuletzt verbreitete Video hier zu beschreiben – aus Respekt vor ihnen. 

    Für diejenigen, die Tag für Tag in Schmerzen und Sorgen um ihre Töchter und Stunde für Stunde zum Himmel und überall auf der Erde um Hilfe schreien. Seit 233 Tagen – ihr Albtraum endet nicht. 

    Deshalb ist es angebracht, ihren Schrei auch hierher zu bringen, damit er an möglichst vielen Orten widerhallen wird.

    Ich konnte das Video von den Mädchen in der Geiselhaft, nachdem sie geschlagen und vergewaltigt wurden, nicht vollständig ansehen. Aber ich konnte den Schrecken von ihnen durch ihre Augen spüren. Ein paar Stunden vorher haben die Mädchen wahrscheinlich noch auf TikTok oder auf Instagram gescrollt. Sobald sie die Schüsse hörten, haben sie an die Eltern geschrieben, manche haben sich von den Eltern auf WhatsApp verabschiedet, manche nicht. Und jetzt sind sie in der Geiselhaft als Sex-Sklaven oder schon tot, oder halb verhungert und geschlagen. Bluten in ihren Seelen und im Rest ihrer Körper. Die Leichen ihrer Freunde liegen neben ihnen.

    Das Video ist nicht neu. Aber die Eltern verlangten, die Aufnahme öffentlich zu machen, weil sie der Gleichgültigkeit der Welt und der Entscheidungsträger in Israel nicht länger standhalten konnten. 

    Ayelet und Naama Levy Kredit: Webseite: Mako 7.Januar 2024 und Channel Keshet 12, morning news.

    Die Mutter von Naama Levy, Ayelet, ist Ärztin von Beruf. Ihr ganzes Leben kümmert sie sich um Menschen. Nun ist sie aber ganz weit entfernt und es ist ihr nicht möglich, sich um ihre eigene Tochter zu kümmern und sie zu heilen. Obwohl die ganze Welt sah, wie ihre Tochter mit blutgetränkter Hose zum Transporter geschleppt wurde, sagt sie mit erstickter Stimme im Radio, daß sie sowohl den Schmerz ihrer Tochter trägt aber auch von der Gleichgültigkeit der Welt angesichts dieser Bilder verletzt ist.

    Liri’s Eltern erzählen, es sei ihnen schwergefallen in die Welt zu schreien, dass ihre Tochter jeden Tag vergewaltigt wird. Aber irgendwann konnten sie nicht mehr schweigen und der Schrei kam. 

    Die Zeugnisse derjenigen, die aus der Gefangenschaft zurückkamen, sind schwieriger als das, was wir im Video sehen. Trotzdem interessiert es niemanden. Nicht die Intellektuellen in der Welt, nicht die Frauenorganisationen, nicht die Entscheidungsträger weltweit, und auch nicht genug die Entscheidungsträger in Israel..

    israelfeindliche Schmierereien an öffentlichen Gebäuden Quelle: Social Media

    Ich weiß nicht, aus welchem Impuls heraus, muslimische Frauen auf die Straße gehen und „Free Palästina“ rufen. Ich frage mich manchmal, wer von den Demonstrantinnen ist/wird gegen ihren Willen geheiratet. In welchem Alter werden sie schon verheiratet? Ich frage mich, ob ihre Männer mehrere Frauen haben dürfen. Und wenn sie nach Hause kommen, ob sie ihren Männer alles sagen können, oder wägen sie ihre Worte? Ich frage mich, ob sie den Mut oder das Recht haben, in ihren Herkunftsländern zu demonstrieren, und wer von ihnen, als sie klein war, einer Sexualverstümmelung ausgesetzt wurde.

    Ich frage mich, ob sie eventuell nichts Ungewöhnliches bei den Videoaufnahmen der entführten Frauen finden? Und liegt darin auch ihre Gleichgültigkeit? 

    Denn wenn muslimischen Frauen (oder einer die mit einem Muslim verheiratet ist) Ketzerei vorgeworfen wird oder sonst was und sie deswegen geschlagen, gesteinigt, ermordet werden… schließlich schauten ihre muslimischen Schwestern ebenfalls weg.

    An dem Ort, an dem die Nova-Party stattfand, wurden Dutzende Mädchen und Jungen gefunden, die mit entblößten Genitalien an Bäume gefesselt waren. Sie wurden an einen Baum gefesselt, vergewaltigt und ermordet, nicht sicher, in welcher Reihenfolge das geschah. Einige von ihnen wurden nach der Vergewaltigung auch lebendig verbrannt. 

    Befreie zunächst Palästina von sich selbst!

  • Yulis Tagebuch, Folge 30

    Routine im Krieg

    Im November kehrten wir in gewisser Weise zur Routine zurück. Ich weiß aber ehrlich nicht, ob man es Routine nennen kann. Es war ein bisschen so, als würde man Verrückte ohne Medikamente auf die Straße schicken.

    Die Huthi schießen aus Jemen Boden-Boden-Raketen ab und drohen mit einem erneuten Angriff. Nasrallah hält gleich seine Terrorrede, während dutzende Raketen aus Libanon täglich abgefeuert werden. Terrorgruppen im Westjordanland drohen ebenso mit Gewalt. Trotz alldem begann die Schule wieder und Menschen müssen wie Menschen eben arbeiten, um zu essen. Routine.

    Ich entschied mich, dass wir, solange der Krieg währte, nicht nach Haifa zurückkehren. Folglich geht mein Sohn ab jetzt zu einem neuen Kindergarten in der Nähe des Hauses meiner Eltern. Glücklicherweise – oder vielmehr nicht – waren in dieser Zeit ganz viele Evakuierte aus dem ganzem Land im Zentrum und die Kindergärten mussten neue Kinder aufnehmen. 

    Die Kindergärtnerinnen kümmerten sich um die Integrierung der neuen Kinder mit pädagogischen und psychologischen Werkzeugen, aber deren Wirkung war insgesamt unerheblich. 

    Die Integration ist nur ein Problem aus den vielen Schwierigkeiten, mit denen diese Kinder zur Zeit konfrontiert werden. 

    Die meisten von ihnen brauchen intensive Therapie, das kann der Kindergarten nicht bieten. 

    Für Kinder, die zu einem fremden Kindergarten, in eine fremde Stadt gehen müssen, weil Terroristen ihre Verwandten und Nachbarn geschlachtet haben und Raketen auf ihre Häuser ununterbrochen abgefeuert werden, ist nichts normal. 

    Allerdings verhalten wir uns gerade so, als ob es das wäre…

    Nachdem wir der WhatsApp-Gruppe des Kindergartens beitraten, gab es in der Gruppe der Eltern eine Debatte darüber, ob am Kindergarteneingang eine Straßenkamera installiert werden sollte. 

    Der Mangel an Vertrauen bei Menschen war so schlimm, dass eine Mutter behauptete, sie würde ihre Tochter ohne Kameras nicht zum Kindergarten bringen. Ich fand es ein bisschen komisch, dass die hysterischste Mutter in der Gruppe tatsächlich eine Amerikanerin war, oder vielleicht ist es nicht überraschend. Und als wir am Kindergarten morgens ankamen, standen bewaffnete Soldaten und Polizisten am Eingang. So eine Sicht beruhigt wahrscheinlich manche Eltern, aber mich hat es nicht beruhigt, ganz im Gegenteil. 

    Das zeigt mir, wie schlecht die Situation ist. 

    Zuhause fühlte ich mich noch schlimmer bei der Vorstellung, dass ich während eines Krieges meinen Sohn mit drei Kindergärtnerinnen und nicht weniger als 30 Kindern zurücklasse. Ich fühle es so, als ob ich ihn im Stich lasse. Deswegen war ich zuhause wie eine geladene Waffe, schussbereit bei jedem Fall zum Kindergarten loszurennen. 

    Mein Sohn distanziert sich oft von großen Gruppen. Er spielt lieber mit einem oder zwei Kindern, zu denen er eine gute Bindung aufbauen kann. Er ist ein Kind der Qualitäten, nicht der Quantitäten. Kurz gesagt, ein Kind mit dem Charakter eines Erwachsenen. Deshalb machte ich mir keine Sorgen um seine Integration in der neuen Umgebung. Gott sei Dank, anders als ich, kommt er überall zurecht.

    Das Bildungsministerium organisiert Zoom-Vorlesungen mit Psychologen und anderen Fachleuten für die besorgten Eltern, und zusätzlich richtet es eine Hotline in verschiedenen Bereichen für Studierende und Eltern ein. 

    Die Universitäten bieten auch Gespräche mit Experten, sowohl für die Studenten als auch für die Mitarbeiter an. Jedoch hatte ich nicht das Bedürfnis, über Dinge zu diskutieren. Ich wollte weiterhin putzen, Wäsche waschen, und ungeduldig jeden Tag darauf warten, mein Kind abzuholen.

    Zeitgleich mit den Aktivitäten des Bildungssystems haben auch die Nachmittagsaktivitäten wieder begonnen. Ich meldete mich und meinen Sohn sofort für Krav-Maga an.

    Selbstverteidigung fand ich wichtiger im Moment, als über meine Ängste zu reden. Ich wollte mich aus dieser Hilflosigkeit herausholen. Und wenn es niemanden gibt, der uns beschützt, müssen wir lernen, uns selbst zu schützen. 

    Kredit: Foto von der Facebook Seite von Michael Hans Höntsch
  • Yulis Tagebuch, Folge 29

    Hurricane

    Zwischen dem Song „Hurricane“ und dem Originalsong „October Rain“ gibt es eigentlich keinen großen Unterschied. Im Grunde wurde der Titel „Hurricane“ gegen die Worte „October Rain“ ausgewechselt. Es gibt auch keinen Unterschied in der inneren Bedeutung des Songs. Jedoch, das Wort „Oktober“ war eine Provokation für die Europäische Kommission und sie konnten es einfach nicht annehmen. Das heißt, es kommt nicht auf die Bedeutung an, sondern darauf, wie der  Song interpretiert werden kann. Nicht der Inhalt, sondern die Hülle. Apropos Hülle, Schalen und Früchte: Das niedliche Symbol des Protests in den Farben der palästinensischen Fahne wurde durch das Zeichen einer geliebten Frucht ersetzt. Schmackhafter, süßer, bestens kalt serviert, rot mit grüner Schale und schwarzen Samen. Wisst Ihr schon welche Frucht ? Ich mag auch Wassermelone. Jedes Mal, wenn Ihr eine Wassermelone esst, denkt jetzt an Palästina. „Contemporary“ halt… 

    Im Jahr 2024 vertrat Eden Golan Israel beim Eurovision Song Contest. Sie musste unter der Sicherheit des Shin-Bet in Schweden ankommen. Von tausenden von Polizisten, Scharfschützen auf den Dächern des gesamten Komplexes und verdeckten Polizisten bewacht vom Flugzeug aus einsteigen, im Hotel, bei Proben und in jeder restlichen Sekunde in Malmö. Und das alles, um halt einen Song zu singen. Wenn ich diese Worte schreibe, kommt es mir vor wie das Bild einer jüdischen Frau Ende der dreißiger Jahre in Europa, die den Nazis zu entgehen versucht. Eden Golan ist die „Contemporary“ Marlene Dietrich. (Ich wollte halt „contemporary“ nutzen, damit es ebenso cool anzuhören ist.) Anscheinend sind wir in Europa nach 100 Jahren wieder am Ausgangspunkt angelangt. Um ein Jude in Europa zu sein, muss man sich verstecken, sich entschuldigen, sich bücken oder einfach den Mund halten. Also bleibe ich in Israel, denn wohin könnte ich sicher mit meinem Sohn reisen, der fast ausschließlich Hebräisch spricht? Wie oft kann man einem kleinen Kind sagen, es solle „leise sprechen“, denn es ist gefährlich, Hebräisch in Europa zu sprechen.

    Eden, ein 20-jähriges Mädchen mit phänomenalem Gesangstalent, betrat die Bühne und hat die „Buh‘s” des Publikums gehört. Das war bisher noch nie passiert. Weiterhin hat das israelische Team erzählt, dass die meisten Mitglieder der Delegationen nicht bereit gewesen seien, mit den Israelis Fotos zu machen. Sie forderten Eden sogar auf, sie in Edens Social Accounts nicht zu markieren und Posts mit ihnen zu löschen. Es sollte niemand sehen, daß sie freundlich zu Eden waren und sie mit ihr Fotos gemacht haben… 

    Der Schweizer, Nemo, der dann gewonnen hat, distanzierte sich gleichfalls vom israelischen Team, trotz der Punkte die er vom Hurricane-Komponisten für die Musik erhielt.

    Dann kam die Pressekonferenz, wo ein polnischer Journalist Eden fragte: „Glauben Sie nicht, dass Sie Menschen gefährden, wenn Sie hier sind?“ Als Eden redete, gähnte die  Vertreterin aus Griechenland und der niederländische Vertreter zog  sich  ein Tuch über den Kopf. Klassisches Europa, auf jeden Fall. 

    Die ganze menschliche Hässlichkeit wurde beim Eurovision Song Contest verkörpert. Und die Masken, das Make-up und die Musik waren nicht die schrecklichsten Dinge dabei. Abseits der Bühne passierten weitaus schrecklichere Dinge.

    Überraschenderweise (und ich schließe normalerweise nicht mit einer positiven Note ab, um eine Illusion zu erzeugen. In dem Sinne bin auch kein Fan amerikanischer Filme), erhielt Israel vom Publikum in 14 Ländern Douze Point, am meisten von allen Teilnehmern im Wettbewerb. Sogar aus Belgien, wo es eine Aufschrift am Fernsehen „Wir verurteilen Israels Menschenrechtsverletzungen“ vor Edens Auftritt gab und gleichfalls aus dem spanischen Publikum, dessen Regierung plant, einen palästinensischen Staat einseitig anzuerkennen. Aus Portugal, dessen Vertreterin sich entschieden hat, Wassermelonen auf ihre Nägel zu malen, und auch aus Australien, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, San Marino, Schweden, der Schweiz und Großbritannien.

    Allerdings vergaben die Juroren, eine sehr niedrige Punktzahl mit einem erheblichen Abstand zur Publikumswahl – was normalerweise nicht der Fall ist – und Eden belegte daher den fünften Platz.

    Was die Publikumswahl anging, verließen die Israelis die Eurovision mit einem Siegesgefühl. Gleichzeitig gibt es eine bittere Erinnerung an den Empfang im Wettbewerb und wie die anderen Mitglieder sich der israelischen Delegation gegenüber verhielten. 

    Aber wer seid Ihr, die Ihr für den israelische Song gestimmt habt? Warum drückt Ihr  Eure Stimme nicht lauter aus? Warum werden vernünftige Stimmen in den Medien nicht gehört? Warum ist die Unterstützung für Israel für mich so überraschend geworden? 

    Weil ich vorher dachte, dass es die Welt nicht mehr gibt. Warum muss jedes Mal etwas großes passieren, damit sich etwas ändert und die Menschen ihre Augen öffnen? 

    Vielleicht ist dies die einzige Möglichkeit, die Weltordnung zu verändern, und zwar nicht durch die Hände der Schuldigen, sondern durch eine Macht, größer als die Menschen, eine Katastrophe vom Ausmaß einer Naturkatastrophe, etwas so Tödliches wie einen Hurrikan.

    https://www.youtube.com/watch?v=K60BWlEhtAA

  • Yulis Tagebuch, Folge 28

    Eurovision

    October Rain

    Der Oktober ist vorbei und viele andere Dinge mit ihm.  Ich möchte Euch schon erzählen, was im November passiert ist, aber ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich statt über den andauernden Krieg über einen Songwettbewerb schreiben würde. Der „Eurovision Song Contest“ von dem ich bezweifle, daß irgendjemand daran interessiert gewesen wäre, wenn nicht das kommerzielle Fernsehen den Eurovision Song Contest zu einem Gesprächsthema gemacht hätte. Es handelte sich auf jeden Fall um eine öffentlich seit Jahren bekannte „Show“, von dem die Zeitungen Monate vorher schon schreiben.

    Ich möchte glauben, dass ich ganz objektiv bin, wenn ich sage, daß der Eurovision Song Contest in den letzten Jahren wie ein Zirkus aussieht und die meisten Songs sind einfach….schlecht. Unter anderem mag ich Rock. Ich bin mit Nirvana, Megadeth, Metallica, Guns and Roses sowie mit Punk und Hip-Hop aufgewachsen und deshalb (eventuell) irritieren mich die seltsamen Masken und Kostüme nicht. Ich bin auf die Musik fokussiert und nicht auf die Kulisse. Aber auch diese sollen mit Geschmack gemacht werden. Hauptsache ist die Musik und die soll auch gut sein. Meistens ist das nicht so. „Contemporary“… sag nicht mehr modern oder post-modern – schon alte und unrelevante Worte – alles ist jetzt „Contemporary“. „Contemporary“ Tanz, Musik… u.a.  bedeutet es, die Verbindung oder Kombination zwischen verschiedenen/andereArten, Styles, Genre usw. in einer Kreation.  

    Dieses Jahr versuchte das Publikum in vielen Ländern, und auf unverhohlene Weise, Israel vom Eurovision Song Contest auszuschließen. Viele der jungen Leute, die sich nicht gut mit Geschichte auskennen, verglichen Israel mit Russland, und behaupten, wenn Russland am Eurovision Song Contest nicht teilnimmt, sollte es Israel ebenso nicht. 

    Abgesehen von der kleinen Tatsache, dass Israel keinen Krieg gegen Gaza begonnen hat und gegen Gewalt fanatischer anti-westlicher Terroristen kämpft. Russland ist im Gegensatz dazu, in ein Land in Europa einmarschiert und droht sogar mit der Invasion anderer europäischer Länder, wenn diese der NATO beitreten. Kleine Unterschiede für Studenten in den besten Universitäten der Welt. Mit dieser Generation geht die Welt nur nach unten.  

    Wenn schon, dies lässt sich vielleicht mit der amerikanischen oder britischen Invasion in Afghanistan vergleichen. Allerdings, damals ist die Teilnahme Großbritanniens am Eurovision Song Contest überhaupt nicht in Frage gestellt worden. Aber solche Kritik ist gerade auf Social-Media nicht aufgekommen. „Contemporary“ Meinungen halt…

    Ursprünglich hieß der israelische Song zum Eurovision Contest  „October Rain“. Der Song wurde abgelehnt, weil er als zu politisch angesehen wurde. Es stimmt, daß der Song unter dem Eindruck der Ereignisse vom letzten Oktober geschrieben wurde, aber ist der Song politisch? Ich denke nicht.

    Lasst mich aus dem abgelehnten Song zitieren

    Writers of the history
    Stand with me
    Look into my eyes and see

    People go away but never say goodbye
    Someone stole the moon tonight

    Took my light

    Everything is black and white

    Who’s the fool who told you boys don’t cry

    Hour and hours and flowers
    Life is no game for the cowards
    Why does time go wild
    Every day I’m losing my mind
    Holding on in this mysterious ride

    Dancing in the storm
    We got nothing to hide
    Take me home
    And leave the world behind
    And I promise you that never again
    I’m still wet from this October rain
    October Rain

    Es ist hauptsächlich politisch, da der Song unmittelbar unseren Schmerz zum Ausdruck bringt. Daher wurde dieser Song disqualifiziert und ebenso ist die israelische Perspektive auf die Ereignisse in den globalen Medien. Unser Schmerz ist in dieser ganzen Geschichte marginal, und wir dürfen darüber nicht singen. Wir haben zu viele Erwartungen an diese Welt gehabt…

  • Yulis Tagebuch, Folge 27

    Wo ist Nirgendwo?

    Am 30. Oktober, kurz vor Ende dieses unerträglichen Monats, geschehen in Israel und anderswo Dinge, die uns weiterhin erschüttern. Es sind nicht die Demonstrationen auf der Straße, die uns so erschüttern, als das Auftauchen von altem Antisemitismus, der sich nicht schämt und überall demonstrativ zum Ausdruck kommt. 

    Er tritt auf am Arbeitsplatz in großen und kleinen Unternehmen, an Universitäten, gegen jüdische-israelische Geschäfte usw. All dies trägt zur zunehmenden Gewalt bei. Wie bei dem Vorfall am Sonntag in Dagestan. 

    Ich hatte eigentlich keine Ahnung, wo Dagestan liegt, und selbst nach dem Ereignis verstehe ich es immer noch nicht genau. Es ist Teil Russlands, aber nicht in Russland. Einer Region, die einst gemäßigt muslimisch war, jedoch unter Putins Regierung zur Brutstätte von ISIS und antisemitischer Aktivisten geworden ist. Wie die Hamas haben Terroristen in Dagestan ein geplantes Massaker weltweit  übertragen wollen. Schließlich wissen wir, dass Aufnahmen der Gewalt gegen Juden bei Antisemiten große Freude auslösen.

    Die meist jüdischen Passagiere in der Maschine hatten nicht die Absicht, nach Dagestan zu fliegen, aber sie hatten keine andere Wahl. Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine verlängerte ihren Flug, weil russische Fluggesellschaften keine Airbus- und Boeing-Flugzeuge einsetzen können, daher müssen jetzt bestimmte Flüge aus Israel dort landen. Einige der Menschen, die bereits aus dem Flugzeug gestiegen waren, wurden auf wundersame Weise gerettet, nachdem sie ein Hubschrauber abgeholt und zu einer Militärbasis gebracht hatte. Ironisch ist, dass einige der Passagiere aus Dagestan stammten und nach Israel kamen, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen.  

    Fotocredit: Witness accounts, X

    Natürlich sind allgemeine Pogrome und auch Pogrome gegen Juden im Besonderen nichts Neues. Aber es gibt etwas überraschendes an den Hunderten von jungen Männern, die Frauen, Kinder und andere wehrlose Menschen jagen, die einfach nur durch ihr Land reisen. Wie dunkel kann da die Dunkelheit sein? Offenbar wie das Universum, unendlich. 

    „Wir sind wegen der Juden gekommen, um sie mit einem Messer zu töten oder zu erschießen“, erzählt jemand im Video auf Social-media. Eine meiner Meinung nach gute Ergänzung zu den weltweiten pro-palästinensischen Demonstrationen. 

    Denn die Demos dienen nicht den palästinensischen Interessen wie z.B. die Zukunft der Palästinenser in der Palästinensischen Autonomiebehörde, sondern sind lediglich eine Möglichkeit für ungezügelte und barbarische Gewalt gegen die Juden, wie es in den 18. oder 19. Jahrhundert in der Ukraine oder in Russland geschehen ist – und nun spielt sich dasselbe erneut vor unseren Augen ab. 

    Das Motto von „Freies Palästina“ ist ein Schutzschild, der solch extreme Gewalt, die schon vorher auf ihren Ausbruch wartete, ermöglicht. Nun ist die Welt aber nicht erschüttert davon. Alles bleibt in der Routine und die Gedanken, dass „die Juden wieder Chaos verursachen“, taucht bestimmt schon bald wieder auf. Naja, in hundert Jahren scheint sich das menschliche Gehirn auch nicht  weiterentwickelt zu haben! Traurige Tatsache!  

    Am selben Tag kehrten die schweren Angriffe nach Jerusalem und Umgebung zurück. Ein Polizist wird tödlich verletzt, das  Westjordanland heizt sich langsam auf. Am 30. Oktober schreibt Amir Ben-David in „Zman Israel“: „Es besteht eine riesige, derzeit vielleicht unüberbrückbare Kluft zwischen der Art und Weise, wie Israelis die Ereignisse erleben und der Art und Weise, wie sie in der Welt dargestellt werden.“ Und er fährt fort: „… uns hier ist klar, dass der Kampf gegen die Propaganda, unterstützt von Katar, China, Russland, Iran, Hamas und ihren Anhängern in Europa und Amerika, schwerlich zu unseren Gunsten entschieden wird. Selbst wenn die gesamte jüdische Bevölkerung von acht bis zehn Millionen Menschen hier ihr Leben dafür einsetzte, wir werden nicht in der Lage sein, gegen die Milliarden von Menschen und Dollars, die gegen uns investiert werden, zu gewinnen.“

    Ich frage mich dennoch, wie es eigentlich dazu kommt, dass wir hier um‘s Überleben kämpfen und eine erklärte terroristische Organisation in den meisten westlichen Ländern so viel Unterstützung gewinnt? 

    Wenn die Welt danach strebt, den Juden das Recht auf Leben zu nehmen, dann habe ich das Recht, alles zu tun, um mich selbst zu schützen. Vielleicht es ist Zeit, ein paar Regeln zu brechen. Was würdest Du tun?

  • Yulis Tagebuch, Folge 26

    Folge 26

    Das Interview (Yocheved Lifshitz und Nurit Cooper)

    Die 85-jährige Yocheved Lifshitz und die 80-jährige Nurit Cooper aus Nir-Oz wurden nach fast drei Wochen aus der Gefangenschaft der Hamas entlassen. Zwei Ehefrauen, Mütter, Großmütter. 

    Ihre Männer sind in Gefangenschaft geblieben, die Terroristen ließen sie nicht frei. Zwei Großväter, die die Entstehung Israels erlebten, sitzen noch immer als Geiseln in den Händen von Terroristen in Gaza. 

    Yocheved Lifshitz und ihr Mann Oded waren Friedensaktivisten. Ein Ehepaar, das viel riskiert hat, um Krebskranke aus Gaza in die Krankenhäuser in Israel zu bringen. Als sie nach Gaza entführt wurden, war das den Gazaers egal – für einen grausamen, entschlossenen und hasserfüllten Feind spielt es keine Rolle, ob ihre Geiseln Rechte oder Linke sind, ob sie an Koexistenz und Frieden glauben oder nicht. Für Terroristen jeder Art ist all das ein großer Blödsinn. Selbst glauben sie weder an Koexistenz noch an Frieden, solche Begriffe gehören nicht zu ihrem Wortschatz. Sie wollen eliminieren. Punkt. 

    Sie behandelten Yocheved mit Grausamkeit, als wäre sie ein Objekt. Sie legten sie auf den Motorradsitz und rasten mit ihr durch die Felder bis nach Gaza. Sie schlugen sie so, dass sie kaum noch atmen konnte. Kurz vor der Entlassung aber zeigte Hamas „live“ der Welt ihre Menschlichkeit – durch das Servieren von Süßigkeiten und Kaffee für die entführten Frauen. Zudem hat ein Hamas-Sprecher kommentiert, sie seien trotz der Verbrechen „der Besatzung“ aus humanitären Gründen freigelassen worden. Berührend!! 

    Die Verwendung des Wortes „humanitär“ bei Hamas-Sprechern und dieses Zitieren in den Medien weltweit machen mich echt wütend. Und welche Besatzung? Ich verstehe diesen Bezug immer noch nicht. Wie kann ein Staat, der nie existiert hat, behaupten, er sei besetzt worden? Und wie könnte jemand dafür protestieren? Denn den Palästinensern wurde ein Staat mehrmals angeboten und haben nicht sie selbst immer wieder abgelehnt? 

    Vor ein paar Tagen hörte ich, dass sich die Muslime des Geburtenmangels im Westen bewusst sind und angesichts des natürlichen Anstieges der arabischen Bevölkerung ist ihnen ebenso klar, was das heißt für die Welt der Zukunft. Verfolgt man den Gedanken, dann ist der logische Schluß, daß selbst wenn es keinen Krieg gäbe, sie die Welt auch so numerisch erobern werden. Dann viel Glück Europa und für die stumme Frauenorganisationen der Welt habe ich noch den Rat: Vergesst bitte nicht, euch ein Hijab für die Zukunft zu besorgen.

    Viele der Entführten besitzen eine zweite Staatsbürgerschaft und die entsprechenden Länder intervenieren in Verhandlungen zugunsten ihrer entführten Bürger. Aber es gibt auch dort Menschen ohne zweite Staatsbürgerschaft, und die haben ein „schlechteres Glück“ als die anderen.

    Fotocredit: Courtesy Hostages and Missing Families Forum. Yocheved Lifschitz, (left), and Nurit Cooper (right).

    Nach ihrer Entlassung ist Yocheved sofort in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Später wurde sie dort noch interviewt. Unter anderem erzählte sie, dass sie zu einer großen Halle gebracht worden sei, wo insgesamt 25 der Entführten gewesen wären. Nach zwei oder drei Stunden teilte man die Gefangenen auf. Fünf Menschen aus dem Kibbuz Nir-Oz brachten sie in einen separaten Raum. Sicherheitspersonal und ein Sanitäter waren ständig mit dabei. Es kam dann ein Arzt und sorgte dafür, dass sie Pillen bekamen. Sie lagen dort auf Matratzen und Personal kümmerte sich um die Hygiene. Der Arzt kam alle zwei oder drei Tage wieder und brachte Medikamente mit. 

    Mir war klar, dass Yocheved jedes Wort ihrer Erzählung sorgfältig erwog, war doch ihr Ehemann unverändert in der Hand der Hamas. Die beiden Frauen wurden vielleicht sogar direkt angewiesen, was sie sagen sollen. So oder so wissen die Frauen, dass ihre Worte das Schicksal anderer bestimmen. 

    Für manche Journalisten in Israel glich das Interview von Yocheved einem Schuss in‘s Knie.  Die Behauptung lautete, Lifshitz habe die Hamas in einem positiven Licht dargestellt, als ob sich die Organisation um die Gefangenen kümmere, und ein solches Interview könnte außer in Israel falsch interpretiert werden. Manche nannten es „Stockholm-Syndrom“. 

    Aber die Hauptfrage ist doch eigentlich: Wie kann es sein, dass zwei alte Frauen, die kürzlich aus der Gefangenschaft entlassen wurden, von Journalisten interviewt werden und kein einziger offizieller israelischer Vertreter ist vor Ort? Wie konnte das Krankenhaus das Interview in dem Moment zulassen? 

    80-jährige Frauen, die zweieinhalb Wochen mit Monstern in Höhlen und Tunneln gewesen waren, wohlwissend, daß ihre Männer und Nachbarn immer noch in Gefangenschaft sind (und möglicherweise die Gefangenschaft nicht überleben), dürfen meiner Meinung nach alles sagen. Denn sie verstehen die Gefangenschaft und wissen, was wir nicht wissen. 

    Fotocredit: AP- Yocheved Lifshitz am Krankenhaus in Tel Aviv nach ihrer Entlassung (AP)

    Eventuell sollten alle offiziell an ihrer Seite stehen, anstatt sich  über ihre Geschichten zu beschweren! Yocheved sah innerlich und äußerlich so gebrochen aus und die Stille, mit der sie ihre Geschichte erzählte, erschütterte mich innerlich. Mir wurde klar, wie schlecht es ihr geht. Aber was könnten wir von unserer Regierung erwarten? Es ist nur ein weiterer Misserfolg in einer Kette von Misserfolgen. Lass sie alle frei, ich bitte Dich, Gott!

  • Yulis Tagebuch, Folge 25

    Gedenktag in Israel an den Holocaust und den 7. Oktober

    Erinnerungsarbeit

    Zeitzeugen stellen als Quellen historischer Erkenntnis stets eine wichtige Verbindung zwischen Generationen, Kulturen und Zeiten her. Ihre privaten Geschichten werden dabei vor allem als individuelle Erzählungen vermittelt und interpretiert. In Bezug auf den Holocaust wurden in den lokalen kulturellen Kontexten die Holocaustzeugnisse zumeist in eine umfassendere Bedeutung als die persönliche Geschichte integriert. Und trotz der zunehmenden Entfernung von jener Zeit sowie den Versuchen der Leugnung oder auch gelegentlich anzutreffender Gleichgültigkeit gegenüber dieser Vergangenheit wurde bislang die Singularität des Holocaust als einzigartiges Geschehen in der Geschichte der Menschheit bewahrt. 

    Der Holocaust wurde dabei zu einer Geschichte, durch die sich jede menschliche Gesellschaft in ihrem kulturellen Kontext zur Prüfung aufgefordert sieht. In der gegenwärtigen Realität arbeitet die Leugnungsmaschinerie der Hamas ununterbrochen, nicht nur um die eigenen Gräueltaten zu leugnen, sondern auch um auf alle Fälle den Mythos des Opfers zu behalten, auf dem das langjährige palästinensische Narrativ fußt und über das die Hamas ihre Schirmherrschaft übernahm, wie sie es offiziell in einem Dokument ausdrückt. 

    Viel mehr und im Gegensatz zu den gefilmten Gräueltaten des 7. Oktober bereiten die Hamas und ihre Unterstützer Filme über die Tötung und Zerstörung in Gaza vor, die in den Nachrichtensendungen überall im Ausland gezeigt werden und dort überaus präsent sind – und die so die Verbrechen der Hamas täglich in einen anderen Kontext stellen und unsere Geschichte zahlenmäßig in den Hintergrund drängen. 

    Die Welt hat den 7. Oktober schon fast vergessen. Schlimmer ist es, dass viele so gar keine Ahnung davon haben. Eine erstaunliche wahre Geschichte aus dem letzten Tage beginnt mit einer Facebook-Post einer Israelin, die Süditalien besuchte. 

    In einem Restaurant unterhielt sie sich mit dem Kellner und er hat ihr von seinen israelischen Freunde erzählt. Fröhlich hat ihr der Kellner das Foto von den Bekannten gezeigt, die ein paar Monate zuvor im Restaurant saßen und mit ihm das Foto aufnahmen. 

    Auf dem Foto sieht man die Touristen Shiri und Yarden Bibas, die mit ihrem rothaarigen Kind seit mehr als einem halben Jahr in Gaza in Gefangenschaft sind. 

    Der verlegene Kellner hatte davon aber keine Ahnung. Wie kann das sein, dass die Nachrichten über die Entführten nicht überall bekannt und ungeheuer wichtig sind? Wie kann es sein, dass unsere Seite in dieser Geschichte so deutlich ignoriert wird? Wie kann es sein, dass trotz der Zeugnisse und der Berichte der Entlassenen über die Vergewaltigung der Frauen und Männer in der Gefangenschaft die Frauenorganisationen noch immer Stille bewahren?

    In den ersten Tagen der Katastrophe waren es die Bilder aus den schönen Momenten vor dem Massaker, die die westliche Welt mit unserer Geschichte verbanden. Bands, die sich nie mit Israel identifizierten, wie U2 oder Coldplay sangen im Gedenken an die Musikliebhaber vor Millionen von Fans. Weil Nova den Westen symbolisierte; Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Und diese Geschichte gelangte in einen lokalen kulturellen Kontext und schaffte es, die Menschen zu berühren.

    Aber seit Israel gegen die Hamas kämpft, hat die Welt diese gemeinsamen Werte, für die wir kämpfen, augenscheinlich wieder vergessen. Die Welt hat die Fotos der Massaker unterdrückt, während Bilder aus dem Gazastreifen die Media überfluten. 

    Daraus sollten wir lernen, dass die gefilmten Beweise der Körperkameras der Terroristen und der weltweit gezeigte Atrocities Film nicht ausreichen, um mit der Leugnung und dem Vergessen der Verbrechen vom 7. Oktober umzugehen. Denn die Erinnerung basiert nicht nur auf einem Foto oder einem Video, sondern darauf, wie die Taten in einem größeren Kontext weiter angenommen und interpretiert werden und wie die Bedeutung der Beweise vertieft wird und der Zuhörer für sich die Möglichkeit der Identifikation eröffnet.

    Genau diese Arbeit wurde durch Aussagen von Holocaust-Überlebenden wirksamer geleistet als durch Filme aus dem Holocaust. Und hier sollen wir es auch machen. Nicht, weil wir die Zuhörer überzeugen wollen, sondern um mit ihnen zum ersten Mal unsere Geschichte im Ganzen zu teilen. 

    Die Vielzahl der Zeugnisse der Nova-Überlebenden, der Überlebenden der Kibbuzim, der Entlassenen aus der Gefangenschaft, die Geschichten der Opfer und mehr, sind ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte des 7. Oktober und nicht weniger bedeutsam als die Filmaufnahmen der Hamas. 

    Wer auf der Welt weiß, dass über 50 Menschen, die die Massaker des Festivals überlebt haben, später Selbstmord begangen haben?Die Trauer darüber ist unendlich. Die Israelis sind eventuell Tuff, aber sind genauso empfindlich. All dies aber muss in einen größeren Kontext eingebunden werden – menschlich und kulturell weit über das Politische hinaus –, um beim Zuhörer Verständnis für unsere Geschichte zu schaffen. Nicht umsonst nennt die historische Holocaust-Forschung dies „die Arbeit an der Erinnerung“. Denn Erinnerung ist etwas, das sich in verschiedene Richtungen verändert und entwickelt, und wir haben gegenüber den Opfern und Überlebenden die Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie erhalten bleibt.

    von Guy Morad. Haus am Kibbuz Amit Soussana Speaks About Her Days in Hamas’ Captivity
  • Yulis Tagebuch, Folge 24

    Holocaust Gedenktag in Israel und den 7. Oktober

    „Nie Wieder“-Folge

    Nie Wieder“

    In dieser Woche haben wir den Holocaustgedenktag in Israel begangen. Schon vorher habe ich die Spannung, die von diesem Datum ausgeht, gespürt. Denn noch immer sind 133 Menschen in der Gefangenschaft der Hamas, darunter ein Baby, Frauen, Väter, Kinder und sogar ein Holocaustüberlebender, der 86 Jahre alt ist. Daneben gilt die erinnerung jenen Holocaustüberlebenden, die am 7. Oktober ermordet wurden. Und natürlich trauern die Holocaust- überlebenden, die ihre Enkelkinder im Krieg verloren haben, oder die beim Überfall auf das Festival ermordet wurden – es ist schwer, ihnen in die Augen zu schauen. 

    Vor dem 7. Oktober hing der Spruch „Nie Wieder“ sehr eng mit diesem Gedenktag zusammen. In dieser Woche ist der Spruch nicht mehr so stark wie früher betont. Ja, ich kenne natürlich den Spruch „Never Again is Now“ („Nie wieder ist jetzt“), aber er enthält meiner Meinung nach eine ganz andere Bedeutung, die viel stärker lokal als universal und viel mehr eine politische als eine kulturmäßige Aussage ist. Insgesamt gibt es freilich einen großen Unterschied zwischen unserer Perspektive und, wie diese Aussage andernorts in der Welt interpretiert wird. Wir fühlen uns hier mehr oder weniger allein, und deshalb war es in diesem Jahr ein besonders trauriger Gedenktag. 

    Ich finde es falsch, zwischen dem Holocaust und dem 7. Oktober zu vergleichen. Das habe ich schon diskutiert. Aber zwischen dem Holocaust und dem 7. Oktober gibt es eine Verbindungslinie, nicht nur durch die Art der Verbrechen, sondern auch durch die Reaktion darauf. Das Geschehen hat die ganze Welt politisch aufgerüttelt, hat Tabus gebrochen wie etwa den Angriff Irans. Auch die für mich seltsame Frage des existentiellen Rechts der Juden in diesem Land ist überall wieder aufgeworfen worden. Mich erinnert die Verleugnung bzw. die Verkleinerung der Verbrechen der

    Hamas über die formellen Medien und bei ihren Unterstützern und Antisemiten über die Sozial-Media an die immer noch verbreitete Verleugnung der Shoah. Und der stumme Mund schreit: „Aber ihr habt doch selbst Verbrechen begangen, wie könnt ihr eure Gräueltaten jetzt verleugnen?“

    aus: Social Media

    Denn bei der Verwendung von Filmmaterial gibt es eigentlich keine Bindung an irgendeine Wahrheit. Und so, wie man ein historisches Filmmaterial aus dem Holocaust nutzen kann, um Erinnerungen hervorzurufen, kann man denselben Film auch dazu nutzen, die Realität zu verzerren oder zu leugnen, wie es nach dem Holocaust und wie es gleichfalls nach dem 7. Oktober geschah. 

    Trotz der Live-Dokumentierung beeilte sich die Hamas zu behaupten, dass die IDF für den Tod der Zivilisten verantwortlich sei, und brachte dies offiziell in einem am 21. Januar herausgegebenen Dokument zum Ausdruck, in dem sie alle ihr zugeschriebenen Verbrechen leugnet. Dieses Pamphlet wurde in den sozialen Medien verbreitet und wie der letztens aufgetauchte Brief von Bin-Laden erfreut es sich bei Pro-Palästinensern und Antisemiten auf der ganzen Welt großer Beliebtheit.

    Tatsächlich haben auch die Nazis ihre Verbrechen dokumentiert, aber im Gegensatz zur Hamas haben sie diese nicht veröffentlicht. Privatpersonen, die an jenen Dokumentationen beteiligt waren, und solch Filmmaterial über Gräueltaten besaßen, achteten darauf, diese nach dem Krieg zu verstecken oder gleich zu vernichten, um einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen. 

    Tatsächlich wurde die einzige verfügbare historische Dokumentation in Bundesarchiv, in der man den Akt des Massenmordes „live“ sieht, mit einer Privatkamera gefilmt und ist weniger als eine Minute lang. Daher beruht die historische Erinnerung an den Holocaust wenig auf fotografischen Beweisen der Vernichtung, sondern auf Zeugenaussagen von Überlebenden, Filmen von Ghettos, Fotos und Filmen der Alliierten von der Befreiung, u.a. Auschwitz, Bergen-Belsen usw. und wenigen Fotos und Filmen, die sich im Besitz von Nazis befanden.

  • Yulis Tagebuch, Haifa (17)

    Dieser Text erschien am 30. März 2024  zuerst in der deutschen Version und wird jetzt mit Hilfe von Google und spanischem Lektorat auf spanisch zur Verfügung stehen.

    Purim

    Gestern geschah in Russland ein Terroranschlag. Bewaffnete Männer drangen in einen Konzertsaal ein und erschossen unschuldige Zivilisten. Putin wirft dem Westen, vor allem den USA und Großbritannien, vor, dass die Warnungen vor dem Anschlag Russland in Angst und Schrecken versetzen sollten. Er beschuldigt die Ukraine, den IS-Terroristen einen Fluchtweg ermöglicht zu haben. Ja, er gibt der Ukraine die Schuld, dem Land, das er seit zwei Jahren gnadenlos angreift und das inzwischen massiv zerstört ist, ein Land, dessen Hälfte der Bürger als Flüchtlinge leben. Ja, so ist es mit Menschen wie Putin, die sich als Opfer präsentieren und dabei selbst blutige Beute zwischen den Zähnen halten.

    Ähnlich Putin, der terroristische Akte oder terroristische Regierungen (d.h. Diktaturen), die pausenlos die Stabilität des Westens zu untergraben anstreben, unterstützt, hat auch Hamas ein Interesse daran, dass die Kämpfe im Gazastreifen zunehmen werden. Denn mit der Zeit verliert Israel zusehends seine Legitimität, in Gaza zu agieren, und so wird auch sein Bündnis mit dem Westen erneut auf die Probe gestellt.

    Wir erleben eine dramatische Entwicklung: Der Terror, Krebsmetastasen gleichend, kehrt sofort an jene Stellen zurück, die die israelischen Streitkräfte verlassen haben, um sich abermals auszubreiten. Beispielsweise verschanzten sich erst vor wenigen Tagen Tausende Terroristen im Al-Shifa’a-Krankenhaus. Dort kam es abermals zu einem erbitterten Kampf. Und während die Zahl der Opfer in Gaza zunimmt, ist es für die Hamas ein Sieg im Kampf um das Bewusstsein (d.h. was die Publikumsmeinung weltweit betrifft). Denn wenn die Hamas die Entführten freigelassen hätte, hätte es viel weniger Opfer gegeben und die IDF hätte sich aus den meisten Orten im Gazastreifen zurückgezogen. Aber bei Raubtieren ist das nicht der Fall, Blut schreckt sie nicht ab. Ganz im Gegensatz, es erregt sie nur.

    Inzwischen leben viele Migranten/Olim aus der Ukraine in Israel, ihre Zahl nahm nach dem Krieg mit Russland deutlich zu. Viele ihrer Eltern jedoch haben die Ukraine nicht verlassen. Sie erzählten mir von ihren Familien und dem Krieg dort, wie etwa ihre Eltern das Glas aus den Fenstern nehmen müssen, um bei den Raketenangriffen nicht durch Scherben verletzt zu werden. Stattdessen dichten sie die Fenster mit Holzbrettern ab. Wenn sie ihre Kinder in Israel besuchen wollen, wäre es über Moldawien oder über ein anderes Land, je nachdem, welche Grenze in ihrer Nähe liegt, möglich. Aber die Reise nach Israel dauert manchmal zwei Tage lang. Für viele Eltern ist das zu anstrengend. Als am 7. Oktober der Krieg ausbrach, riefen sie die Kinder an und fragten sie, ob sie in die Ukraine kommen wollten, bis sich die Lage hier beruhigte. Ja, die Situation in Israel ist wahrscheinlich schlimmer als die Situation in der Ukraine, zumindest sieht es von der anderen Seite so aus.

    Was der Krieg in Israel mit dem Krieg in der Ukraine gemeinsam hat, ist die Tatsache, dass die Bilder, die die Welt erreichen, immer nur Teile der Realität sind. Und der Kontext ändert sich je nach Deutung. Und diejenigen, die nicht hier sind, haben keine Vorstellung, was wirklich vor Ort geschieht.

    Diese Woche haben wir Purim gefeiert. Während Israel ständig von Norden her gegen die Hisbollah kämpft, wird über diesen Krieg kaum berichtet. Dieser Krieg bringt also nicht so viele Nachrichten hervor. Die Raketen, die die Hisbollah aus dem Libanon auf uns abschießt, bringen in Europa keine Demonstranten auf die Straße, weder für noch gegen Israel. Es interessiert einfach niemanden, da die Toten in diesem Krieg hauptsächlich israelische Zivilisten sind. Wann habt ihr in einem westlichen Land Kinder gesehen, die mit den Händen auf dem Kopf auf dem Boden lagen? Vielleicht in der Ukraine, zu Halloween, ich weiß es nicht. Ich habe es nirgendwo andernorts gesehen, aber in Israel schon…

  • Yulis Tagebuch, Haifa (16)

    Alles, was ich geben kann

    Seit dem 7. Oktober sind fast zwei Wochen vergangen und der Alltag ist irgendwie anders. Dinge sind nicht mehr die gleichen. Hingegen über solche Dinge wird in den Medien nicht berichtet, weder in Israel noch woanders. Beispielweise, die Fenster in den Häusern sind zugeschlossen. Warum ist es bedeutend oder relevant?
    In einem Land, in dem es meist sonnig und warm ist (die Temperaturen entlang der Küste auch im Herbst sind relativ hoch, etwa +20 Grad Celsius) sind die Fenster oder die Jalousien tagsüber meist geöffnet. Seit dem 7. Oktober sieht es von außen so aus, als wären alle nicht zu Hause. Als wären die Einwohner ins Ausland gegangen. Eine Fantasie, in jedem Fall, da alle zu Hause eingesperrt sind. Das Eindringen von Terroristen in die Häuser führte dazu, dass jeder alles verschloss und niemandem vertraute. Sogar Hauslieferungen haben derzeit aufgehört. Niemand möchte einen fremden Mann mit Helm auf dem Kopf vor der Tür sehen. Außerdem gibt es immer noch ganz wenig Menschen – oder Autoverkehr da draußen, und auch ich habe es nicht eilig, oft einzukaufen.

    Ich rufe Lea, meine Nachbarin, an. Ich bitte sie, meine Post zu Hause zu holen und in der Wohnung kurz reinschauen, ob alles in Ordnung ist. Ich bin sehr dankbar und glücklich, dass ich Lea habe. Sie ist ein Engel von Himmel. Und obwohl sie im Alter meiner Mutter ist, ist sie eine meiner besten Freundinnen. Ein
    Gespräch bei Mittag- oder Abendessen bei einer Flasche Wein mit ihr, ist die beste Unterhaltung. Sie kam ursprünglich aus Deutschland und hat vier Kinder, die in Israel und in Deutschland leben, und außerdem ist sie die glücklichste Witwe, die ich je gekannt habe. Im Grunde könnte sie in diesen Zeiten bei ihrer
    Tochter bleiben, aber sie will in Haifa bleiben, „aus Prinzip!“ beantwortet sie eine Frage.
    Ich beschließe morgen das Gemeindezentrum zu besuchen und für die evakuierte Familien aus dem Süden und Norden benötigte Dinge zu spenden. Bei meinen Eltern gibt es viele Sachen, die wir abgeben können. Da ich aus verschiedenen Gründen nach der Geburt meines Sohnes bei meinen Eltern gewohnt habe, haben wir zum Glück hier alles, was wir brauchen. In gewisser Weise fühle ich mich in einer ähnlichen Situation, in der mein Körper traumatisiert ist, und trotzdem versuche ich mich ganz normal zu verhalten.
    Ich suche auf WhatsApp, die Nachricht von Natalie um die Liste mir noch einmal durchzuschauen. Mein Sohn ruft „Mama, wo bist du?“, „Ich bin hier mein Lieber, im Schrankzimmer. Komm her, hilf mir dein Spielzeug auszusortieren. Nachher gehen wir auch deine alte Kleidung durch, die für dich schon zu klein ist.“
    Nachdem er ins Bett gegangen ist, kann ich auch in Ruhe meine eigenen Sachen aussortieren. Es wäre eine gute Gelegenheit, mich selbst von Erinnerungen und allen möglichen unnötigen Dingen zu befreien. Er hat zwar seine Spielzeuge den Kindern mit Freude geschenkt, seinen alten Teddy… ach, das gelang erst nach
    einer langen Diskussion (und keine Sorge, er hat noch paar Teddys, die wir behalten). Auf jeden Fall war ich stolz auf ihn. Die Kleidung ließ er mich allein sortieren, – da war er schon müde und sein Interesse an Kleidern ist jedenfalls fast Null.

    Lebensmittel stehen aber auch auf der Liste. Gerade mangelt es auch den Soldaten im Feld an Ausrüstung und Verpflegung. Es gibt nicht genug Essen. Darum kümmere ich mich ebenfalls, aber nicht heute, heute bin ich schon durch. Frag mich ja bitte nicht, wo die Regierung in dieser Situation ist, und was die macht. Da ich nichts von der israelischen Regierung erwarte – wie die meisten in
    der Bevölkerung – kümmern wir uns ohne zu fragen umeinander. Netanyahu, meiner Meinung, ist gerade mehr von seinem politischen Absturz verstört als von der Tatsache, dass ganze Städte in Israel mittellos evakuiert werden, und die Bevölkerung erlebt gerade eine seriöse existenzielle Angst.

    Am nächsten Tag kam ich mit fünf vollen Kisten im Gemeindezentrum an, und war echt erstaunt, wie viele Menschen mittlerweile sich engagiert haben. Der Ort war voll mit Menschen und Kisten, und es scheint so lebendig und positiv. Das fand ich wunderbar!

    Foto Kredit: Channel 12 New Expo TLV, Operation Raum von „Ahim La’neshek“ Org.

    Auf dem Rückweg hallte ein Gefühl der Freude in mir wider. Plötzlich war ich voller Kraft. Ich fühlte mich wieder so energiegeladen. Letztendlich gibt es nichts, was uns von innen so erfüllt, wie der Akt des Gebens.