Yulis Tagebuch, Folge 32


Dunkler November

Zwischen dem jüdischen Neujahr und Chanukka, wahrscheinlich vielen auch als Lichterfest ein Begriff, liegt der Monat November. Er ist normalerweise ein Monat ohne herausragende Tage, denn die Feiertage sind vorbei und der Herbst beginnt. Das typische Sommeroutfit wird durch längere und wärmere Kleidung ersetzt und all das wirkt sich auch irgendwie auf das Bewusstsein aus. Im November kann man sich nicht genug wundern, wie schnell so ein Jahr vergeht, man überlegt sich für das nächste Jahr neue Ziele und hofft, dass möglichst viele Wünsche in Erfüllung gehen.

Im November 2023 war vieles anders – eine Fortsetzung des vorherigen dunklen Monats. Es gab kaum dieses ruhige Nachdenken – es war einfach nicht die Zeit dafür. Wir sind in Gedanken ständig bei dem sich fortsetzenden Krieg, die Ermordeten sind uns gegenwärtig, wir beten um die Rückkehr der Entführten. Denn die Entführten müssen nach Hause gebracht werden – bringt bitte die Kinder zu ihren Eltern zurück!

Eltern sitzen zu Hause – ohne ihre Kinder, weil ihre Kinder gefangen genommen wurden. Das ist Wahnsinn! Es kann nicht sein, dass ein Vater täglich vor dem Verteidigungsministerium in Tel Aviv sitzt, denn seine Frau und seine Töchter sind in Gefangenschaft. Es kann nicht sein, dass ein dreijähriges Mädchen, dessen Eltern ermordet wurden, allein in Gefangenschaft ist. 

Und ich halte mich gerade zurück, um nicht über den Holocaust zu sprechen. Aber alles erinnert mich an die Kinder von damals, die in den Konzentrationslagern oder in den Ghettos völlig allein waren, nachdem ihre Eltern und andere Verwandten ermordet wurden. Große Einsamkeit und Schmerzen erlebten die Kinder in der Gefangenschaft. Und die Politiker, die für diese Hölle verantwortlich sind, diskutieren noch immer, ob 10 Entführte für rund Hundert Terroristen freizulassen ein vertretbares Angebot wäre. 

Es fällt mir schwer zu glauben, dass es in Israel jemanden gibt, der gegen ein solches Abkommen ist. Und doch – es gibt auch solche. Ihnen möchte ich zuschreien: „Wenn es ihre Kinder oder Enkelkinder wären, wären sie doch sofort bereit, jeden Preis für sie zu zahlen.“ Zum Glück stimmte die Mehrheit dafür und dieser teuflische „Deal“ war im Gange.

Für zehn lebende Geiseln entlässt Israel 150 Terroristen aus dem Gefängnis und Israel erhöht die humanitäre Hilfe für Gaza. Israel erhöht auch die Menge an bereitgestelltem Benzin. Israel stellt sowohl den Kampf als auch das Sammeln von Geheimdienstinformationen ein. Aber der Hamas kann und darf man nicht bis zum letzten Moment trauen. Eine Terrororganisation ist … niemandem verpflichtet, ihr Ziel ist, Angst und Zerstörung zu verbreiten. 

Davon wird sie genährt und getragen und für ihr in eingängige Slogans gehülltes Handeln gewinnt sie weltweit große Sympathie. Das war leider schon immer so. Egal, ob es sich um extremistische Gruppen von der rechten oder linken Seite handelt.

Heute aber gilt: Es gibt keinen höheren Preis, als die Kinder aus der Gefangenschaft herauszuholen und zu ihrer Mutter, zum Vater, zu den Großeltern oder zur Tante zurückzubringen. Bringt sie einfach zurück. Lasst die Mörder gehen, aber lasst die Kinder nicht noch weiter in ihren Händen bleiben. Die ersten dreizehn Entführten kehrten nun tatsächlich zurück. Weitere neun ausländische Staatsbürger wurden auch freigelassen – aber nur, weil sie Staatsbürger Russlands, Thailands oder anderer Länder sind. 

Magie ist das nicht, sondern Politik zwischen den Ländern und Katar und Geld natürlich. Die Familien der Gefangenen wussten im voraus, ob ihre Verwandten freigelassen wurden und warteten bereits im Krankenhaus oder in Kerem-Shalom. 

Ich saß vor dem Fernseher und war sehr aufgeregt. Ich konnte kaum atmen, ich wollte die Kinder und Frauen schon zu Hause sehen, von den Händen unserer Soldaten gehalten. Von der Hamas über das Rote Kreuz, den Grenzübergang bis hin in unseren Händen. Denn seit der ersten Intifada hat Israel immer nur Leichen oder Leichenteile zurückbekommen. Gilad Shalits Rückkehr nach fünf Jahren war eine außergewöhnliche Geschichte und der „Preis“ galt damals als sehr hoch: Tausend Terroristen für einen Soldaten. Aber worauf kommt es an? Die Zahl der Terroristen verdoppelt sich jederzeit. Jedes Kind in Gaza, das eine Waffe halten kann, bekommt bereits ein Gewehr …

Aber es gibt nichts Wertvolleres, als zu sehen, wie Menschen aus der Hölle nach Hause kommen und sich erholen. Gilad Shalit, der seinen Bachelor-Abschluss machte und heiratete, kam nun, um die Familien der Entführten zu unterstützen. Welchen Preis hat es? Den meisten Überlebenden des Holocaust gelang es, eine Familie zu gründen und noch aus den Trümmern ein lebenswertes Leben aufzubauen. Aber Erinnerungen an Erlittenes ließen sich nie verdrängen.

IDF-Sprecherabteilung (3 Fotos)

Die nun freigelassenen vormaligen Geiseln befinden sich in Israel. Jetzt müssen sie sich psychisch und physisch erholen. Ich warte schon jetzt voller Hoffnung auf diejenigen, die morgen ankommen werden.