Yulis Tagebuch, Folge 34


Courage

Ich möchte noch einmal auf den Monat November zurückkommen und auf die Freilassung von Entführten eingehen. Zuvor aber muß ich einer Soldatin einige Minuten widmen, die am 30. Oktober gefunden und gerettet wurde: Ori Megidish. 

Ori diente als „Spotter“ auf dem Stützpunkt Nahal-Oz. Als die Schießerei am 7. Oktober begann, hat sie – gemeinsam mit 20 weiteren Soldatinnen – im Sicherheitsraum auf dem Stützpunkt Schutz gesucht. Die Terroristen warfen Granaten in diesen Unterschlupf. Von den Soldatinnen haben nur sieben, wenn auch verletzt, diese Attacke überlebt, darunter Noa Marciano, eine gute Freundin von Ori. 

Ori wurde wie alle Überlebenden gefangen genommen. In Gaza wurde diese kleine Gruppe getrennt und Ori in das Flüchtlingslager Shatti unweit des Schifa-Krankenhauses gebracht. Dort ist sie in einer Wohnung, nicht in einem Tunnel, festgehalten worden. In dieser Wohnung wurde Ori zu einem Objekt bei einem Hamas-Anhänger, der sie einsperrte. Ich möchte auf die Spekulationen, die Gerüchte oder die Fake News, was ihren körperlichen Zustand und das, was sie in seinem Haus durchgemacht hat,  nicht eingehen. 

Relativ glaubhaft bleibt indes, daß es Ori gelungen sei, mit dem Telefon ihres Bewachers anzurufen, während er schlief, denn so konnte festgestellt werden, wo sie sich befand. Verbürgen für diese Nachricht kann ich mich allerdings nicht, ich weiß es nicht hundertprozentig. Aber allein die Überraschung und die Freude in dieser Woche, dass es einer Soldatin gelungen war, sich selbst zu retten, gaben uns die Hoffnung, dass dies den anderen Entführten auch gelingen könnte. 

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist IMG_8659-1024x779.png
Ori Megidish: (Kredit) IDF Presseabteilung

Aber so war es nicht. Nur kurz nach der Rettung Oris wurde bekannt, dass die Leiche von Noa Marciano, Ori’s Freundin, im Schifa-Krankenhaus gefunden wurde. Seither und bis heute ist es der IDF gelungen, lediglich sechs Entführte zu retten. Heute, acht Monate später, gibt es noch immer weitere 120 Entführte, von denen fast 40 bereits tot sein sollen. Aber ob sie tot oder lebendig sind, egal – sie alle sollen nach Hause zurückgebracht werden.

Ähnlich wie Ori war auch Noa zunächst in einer Wohnung in der Nähe von Schifa eingesperrt worden. Während eines IDF-Angriffs in der Gegend wurde der Hamas-Terrorist, der sie festhielt, getötet. Auch Noa wurde verletzt. Es war aber keine lebensgefährliche Verletzung, wie aus ihren medizinischen Befunden hervorgeht. Doch brachten ihre Entführer sie jetzt in das Schifa-Krankenhaus und dort ist sie am 9. November von einem Arzt ermordet worden. 

Noahs Leiche sowie die sterblichen Überreste der 65-jährigen Judith Weiss, die ebenfalls in Schifa gefunden wurde, brachte der IDF nach Israel zurück. Judith Weiss hatte drei Monate zuvor erfahren, dass sie Krebs habe und mit der Behandlung jetzt beginnen müsse. 

Auch der Ehemann von Judith Weiss, Shmulik, wurde auch ermordet. Die Terroristen brannten sein Haus mit ihm nieder. Einen Monat nach der Beerdigung ihres Vaters erfuhren die Kinder, daß ihre Mutter ebenfalls ermordet worden war.

Diese und viele ähnliche Nachrichten sind unsere täglichen Begleiter, sie prägen die allgemeine Stimmung. Gleichzeitig nehmen überall in der Welt der Hass und die Wut gegenüber Israel immer mehr zu. Scheinbar hat die Welt die Ermordeten des Nova-Festivals bereits vergessen. Und aus Israel ist schnell wieder der Angreifer geworden. 

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist Alma-Or-1024x657.png
Noam und Alma Or (IDF Presseabteilung)

Inmitten dieses ganzen Wahnsinns versuchen wir, eine alltägliche Routine aufrechtzuerhalten. Ich bringe meinen Sohn jeden Tag – besorgt zwar, aber ich denke, es ist besser so für ihn – in den Kindergarten, nachmittags planen wir andere Aktivitäten. Währenddessen dröhnen in meinem Kopf Sirenen. Sirenen, die draußen nicht immer zu hören sind, 

aber ich höre sie jederzeit, vor allem, wenn es zu still wird.

Und an jedem Abends dieses Dilemma: Soll ich ihn in seinem Bett schlafen lassen oder in meinem Bett? Wie bekomme ich ihn im Alarmfall schnell aus dem Bett? Vielleicht wäre es das Beste, wenn wir zusammen in einem Zimmer schlafen. Aber er möchte das nicht. Gern will er im Zimmer mit den Spielsachen schlafen, und da habe ich keinen Platz. 

Also – ich wasche mich, putze die Zähne und lege mich für eine weitere Nacht, in der ich nicht wirklich gut schlafen kann, ins Bett.