Dynastie
Wir sind in den letzten Wochen zu süchtigen Fernsehkonsumenten geworden, so wie in den achtziger und neunziger Jahren. Damals gab es hierzulande nur einen öffentlichen Fernsehsender. Wir verbrachten viel Zeit mit Unterhaltungssendungen, Actionsendungen wie MacGyver und Das A-Team, Spielshows, Kindersendungen (die übrigens viel lehrreicher waren als heute). Auch Dynastie und Dallas – der amerikanische Traum – erreichte die Menschen in Netanya. Auch mich, in der kleinen Wohnung im vierten Stock in einer kleinen Einbahnstraße, mit nicht mehr als 13 Gebäuden. Damals konnten Gross und Klein, die ganze Familie, gemeinsam fernsehen – es gab eigentlich nie wirklich Gewalttätiges oder Unangemessenes zu sehen.
Während des ersten Golfkrieges saßen wir jeden Abend in großer Anspannung vor dem Fernseher. Wir warteten auf die Nachrichten des IDF-Sprechers, Mitteilungen des Präsidenten der USA oder auf eine Ankündigung von General Schwarzkopf. Obwohl wir nur das wussten, was sie über die Lage im Irak berichten wollten, haben sie uns doch immer irgendwie beruhigt. Wir verstanden damals noch nicht, wie die Medien funktionieren.
Seitdem hat sich viel verändert, auch die Bedeutung des Fernsehens selbst nimmt heute einen anderen Platz ein. Nicht nur die Inhalte sind heute andere, die Tatsache, dass wir inzwischen sehr viel genauer verstehen, wie Medien funktionieren, verbessert die Dinge nicht. Vielmehr beschleicht uns das Gefühl, sowohl auf Seiten der Medien als auch auf Seiten der Konsumenten ist alles schlimmer geworden. Die Medien sind selbst zum Schlachtfeld mutiert, und den Kampf dort zu verlieren bedeutet nicht selten, auch im echten Feld zu verlieren – denn natürlich beeinflusst die öffentliche Meinung die Politik, und die Politik übt unterschiedlichen Druck aus; wirtschaftlichen, militärischen oder rechtlichen Druck.
Ganz wie in der Vergangenheit schauen wir seit mehreren Wochen zu Hause nur noch einen Sender, Kanal 12. Ein kommerzieller öffentlich-rechtlicher TV-Sender, der – wie andere Sender auch – derzeit nichts anderes sendet als Nachrichten. Kein Raum für Unterhaltung oder Eskapismus jeder Art. Seit Wochen gibt es auch keine Werbung mehr im Fernsehen. Mit dem 7. Oktober hörte alles auf. Der einzig mögliche mentale Ausweg besteht derzeit darin, am Strand spazieren zu gehen (obwohl man dort auch die Hubschrauber vorbeifliegen sieht und manchmal Explosionen hört), zu Hause Yoga zu üben, oder YouTube oder Netflix zu schauen (wiewohl es auch da an Gewalt nicht mangelt).
Ja, Gewalt ist heutzutage ein fester Bestandteil der Unterhaltung geworden. Kein Wunder, dass die Bilder vom 7. Oktober die jungen Medienkonsumenten nicht schockierten, da diese schon in jungen Jahren mit Bildern schwerer Gewalt gefüttert werden. In Videospielen oder später in den beliebtesten Serien wie Squid Game, oder Game of Thrones ist alles gewalttätig und brutal. Dort macht es den Zuschauern auch Spaß. Ich habe mir keine dieser Serien angeschaut. Mir ist klar, dass die überwiegende Mehrheit der Zuschauer noch nie einen terroristischen Akt erlebt oder gar überlebt hat, so dass die Lust auf solche Bilder noch nicht gebrochen ist.
Ich gehöre auch zu den Ängstlichen, das gebe ich zu. Ich kann die Videos, die auf Sozial-Media-Kanälen laufen, nicht öffnen, vor allem nicht Telegram, wo es gar keine Zensur gibt. Ich habe Angst, dass ich mir etwas ansehe, das ich nicht ertragen kann, und meinen mentalen Zustand noch mehr verschlimmern wird. Das Paradoxe ist, dass es für mich als Holocaust-Forscherin und als jemand, der authentisches, unzensiertes Material aus dem Holocaust sieht, immer noch schwierig ist, die Videos vom 7. Oktober anzusehen.
Jenseits der extremen ungezügelten Barbarei wurden Taten dieser Art von den Nazis tatsächlich vor der Kamera verschwiegen. Weiter gibt es auch einen Unterschied zwischen Filmen, die über 70 Jahre alt sind und solchen Taten wie das Verbrennen von Babys und die Ermordung von Kindern, die eine Stunde von ihrem Zuhause entfernt stattfanden.
So sitze ich jeden Abend vor dem Fernseher und warte auf die Freilassung der Entführten, und tagsüber schaue ich mir die Berichte über diejenigen an, die am Vortag freigelassen wurden und freue mich über jedes Familientreffen und über die Mutter, die ihre zurückgekehrten Kinder endlich sanft und warm umarmen kann. Ich freue mich über jedes Kind, das in das Krankenhaus zurückkehrt und dort von Ärzten und Psychologen untersucht und behandelt wird und bin froh, dass sich eine ganze Reihe von Menschen um deren körperliche und geistige Gesundheit kümmern.
Ich sitze also auch heute wieder vor dem Fernseher und warte darauf, zu sehen, wer freigelassen wird.