Kategorie: Deutsch

  • Yulis Tagebuch, Folge 27

    Wo ist Nirgendwo?

    Am 30. Oktober, kurz vor Ende dieses unerträglichen Monats, geschehen in Israel und anderswo Dinge, die uns weiterhin erschüttern. Es sind nicht die Demonstrationen auf der Straße, die uns so erschüttern, als das Auftauchen von altem Antisemitismus, der sich nicht schämt und überall demonstrativ zum Ausdruck kommt. 

    Er tritt auf am Arbeitsplatz in großen und kleinen Unternehmen, an Universitäten, gegen jüdische-israelische Geschäfte usw. All dies trägt zur zunehmenden Gewalt bei. Wie bei dem Vorfall am Sonntag in Dagestan. 

    Ich hatte eigentlich keine Ahnung, wo Dagestan liegt, und selbst nach dem Ereignis verstehe ich es immer noch nicht genau. Es ist Teil Russlands, aber nicht in Russland. Einer Region, die einst gemäßigt muslimisch war, jedoch unter Putins Regierung zur Brutstätte von ISIS und antisemitischer Aktivisten geworden ist. Wie die Hamas haben Terroristen in Dagestan ein geplantes Massaker weltweit  übertragen wollen. Schließlich wissen wir, dass Aufnahmen der Gewalt gegen Juden bei Antisemiten große Freude auslösen.

    Die meist jüdischen Passagiere in der Maschine hatten nicht die Absicht, nach Dagestan zu fliegen, aber sie hatten keine andere Wahl. Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine verlängerte ihren Flug, weil russische Fluggesellschaften keine Airbus- und Boeing-Flugzeuge einsetzen können, daher müssen jetzt bestimmte Flüge aus Israel dort landen. Einige der Menschen, die bereits aus dem Flugzeug gestiegen waren, wurden auf wundersame Weise gerettet, nachdem sie ein Hubschrauber abgeholt und zu einer Militärbasis gebracht hatte. Ironisch ist, dass einige der Passagiere aus Dagestan stammten und nach Israel kamen, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen.  

    Fotocredit: Witness accounts, X

    Natürlich sind allgemeine Pogrome und auch Pogrome gegen Juden im Besonderen nichts Neues. Aber es gibt etwas überraschendes an den Hunderten von jungen Männern, die Frauen, Kinder und andere wehrlose Menschen jagen, die einfach nur durch ihr Land reisen. Wie dunkel kann da die Dunkelheit sein? Offenbar wie das Universum, unendlich. 

    „Wir sind wegen der Juden gekommen, um sie mit einem Messer zu töten oder zu erschießen“, erzählt jemand im Video auf Social-media. Eine meiner Meinung nach gute Ergänzung zu den weltweiten pro-palästinensischen Demonstrationen. 

    Denn die Demos dienen nicht den palästinensischen Interessen wie z.B. die Zukunft der Palästinenser in der Palästinensischen Autonomiebehörde, sondern sind lediglich eine Möglichkeit für ungezügelte und barbarische Gewalt gegen die Juden, wie es in den 18. oder 19. Jahrhundert in der Ukraine oder in Russland geschehen ist – und nun spielt sich dasselbe erneut vor unseren Augen ab. 

    Das Motto von „Freies Palästina“ ist ein Schutzschild, der solch extreme Gewalt, die schon vorher auf ihren Ausbruch wartete, ermöglicht. Nun ist die Welt aber nicht erschüttert davon. Alles bleibt in der Routine und die Gedanken, dass „die Juden wieder Chaos verursachen“, taucht bestimmt schon bald wieder auf. Naja, in hundert Jahren scheint sich das menschliche Gehirn auch nicht  weiterentwickelt zu haben! Traurige Tatsache!  

    Am selben Tag kehrten die schweren Angriffe nach Jerusalem und Umgebung zurück. Ein Polizist wird tödlich verletzt, das  Westjordanland heizt sich langsam auf. Am 30. Oktober schreibt Amir Ben-David in „Zman Israel“: „Es besteht eine riesige, derzeit vielleicht unüberbrückbare Kluft zwischen der Art und Weise, wie Israelis die Ereignisse erleben und der Art und Weise, wie sie in der Welt dargestellt werden.“ Und er fährt fort: „… uns hier ist klar, dass der Kampf gegen die Propaganda, unterstützt von Katar, China, Russland, Iran, Hamas und ihren Anhängern in Europa und Amerika, schwerlich zu unseren Gunsten entschieden wird. Selbst wenn die gesamte jüdische Bevölkerung von acht bis zehn Millionen Menschen hier ihr Leben dafür einsetzte, wir werden nicht in der Lage sein, gegen die Milliarden von Menschen und Dollars, die gegen uns investiert werden, zu gewinnen.“

    Ich frage mich dennoch, wie es eigentlich dazu kommt, dass wir hier um‘s Überleben kämpfen und eine erklärte terroristische Organisation in den meisten westlichen Ländern so viel Unterstützung gewinnt? 

    Wenn die Welt danach strebt, den Juden das Recht auf Leben zu nehmen, dann habe ich das Recht, alles zu tun, um mich selbst zu schützen. Vielleicht es ist Zeit, ein paar Regeln zu brechen. Was würdest Du tun?

  • Yulis Tagebuch, Folge 26

    Folge 26

    Das Interview (Yocheved Lifshitz und Nurit Cooper)

    Die 85-jährige Yocheved Lifshitz und die 80-jährige Nurit Cooper aus Nir-Oz wurden nach fast drei Wochen aus der Gefangenschaft der Hamas entlassen. Zwei Ehefrauen, Mütter, Großmütter. 

    Ihre Männer sind in Gefangenschaft geblieben, die Terroristen ließen sie nicht frei. Zwei Großväter, die die Entstehung Israels erlebten, sitzen noch immer als Geiseln in den Händen von Terroristen in Gaza. 

    Yocheved Lifshitz und ihr Mann Oded waren Friedensaktivisten. Ein Ehepaar, das viel riskiert hat, um Krebskranke aus Gaza in die Krankenhäuser in Israel zu bringen. Als sie nach Gaza entführt wurden, war das den Gazaers egal – für einen grausamen, entschlossenen und hasserfüllten Feind spielt es keine Rolle, ob ihre Geiseln Rechte oder Linke sind, ob sie an Koexistenz und Frieden glauben oder nicht. Für Terroristen jeder Art ist all das ein großer Blödsinn. Selbst glauben sie weder an Koexistenz noch an Frieden, solche Begriffe gehören nicht zu ihrem Wortschatz. Sie wollen eliminieren. Punkt. 

    Sie behandelten Yocheved mit Grausamkeit, als wäre sie ein Objekt. Sie legten sie auf den Motorradsitz und rasten mit ihr durch die Felder bis nach Gaza. Sie schlugen sie so, dass sie kaum noch atmen konnte. Kurz vor der Entlassung aber zeigte Hamas „live“ der Welt ihre Menschlichkeit – durch das Servieren von Süßigkeiten und Kaffee für die entführten Frauen. Zudem hat ein Hamas-Sprecher kommentiert, sie seien trotz der Verbrechen „der Besatzung“ aus humanitären Gründen freigelassen worden. Berührend!! 

    Die Verwendung des Wortes „humanitär“ bei Hamas-Sprechern und dieses Zitieren in den Medien weltweit machen mich echt wütend. Und welche Besatzung? Ich verstehe diesen Bezug immer noch nicht. Wie kann ein Staat, der nie existiert hat, behaupten, er sei besetzt worden? Und wie könnte jemand dafür protestieren? Denn den Palästinensern wurde ein Staat mehrmals angeboten und haben nicht sie selbst immer wieder abgelehnt? 

    Vor ein paar Tagen hörte ich, dass sich die Muslime des Geburtenmangels im Westen bewusst sind und angesichts des natürlichen Anstieges der arabischen Bevölkerung ist ihnen ebenso klar, was das heißt für die Welt der Zukunft. Verfolgt man den Gedanken, dann ist der logische Schluß, daß selbst wenn es keinen Krieg gäbe, sie die Welt auch so numerisch erobern werden. Dann viel Glück Europa und für die stumme Frauenorganisationen der Welt habe ich noch den Rat: Vergesst bitte nicht, euch ein Hijab für die Zukunft zu besorgen.

    Viele der Entführten besitzen eine zweite Staatsbürgerschaft und die entsprechenden Länder intervenieren in Verhandlungen zugunsten ihrer entführten Bürger. Aber es gibt auch dort Menschen ohne zweite Staatsbürgerschaft, und die haben ein „schlechteres Glück“ als die anderen.

    Fotocredit: Courtesy Hostages and Missing Families Forum. Yocheved Lifschitz, (left), and Nurit Cooper (right).

    Nach ihrer Entlassung ist Yocheved sofort in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Später wurde sie dort noch interviewt. Unter anderem erzählte sie, dass sie zu einer großen Halle gebracht worden sei, wo insgesamt 25 der Entführten gewesen wären. Nach zwei oder drei Stunden teilte man die Gefangenen auf. Fünf Menschen aus dem Kibbuz Nir-Oz brachten sie in einen separaten Raum. Sicherheitspersonal und ein Sanitäter waren ständig mit dabei. Es kam dann ein Arzt und sorgte dafür, dass sie Pillen bekamen. Sie lagen dort auf Matratzen und Personal kümmerte sich um die Hygiene. Der Arzt kam alle zwei oder drei Tage wieder und brachte Medikamente mit. 

    Mir war klar, dass Yocheved jedes Wort ihrer Erzählung sorgfältig erwog, war doch ihr Ehemann unverändert in der Hand der Hamas. Die beiden Frauen wurden vielleicht sogar direkt angewiesen, was sie sagen sollen. So oder so wissen die Frauen, dass ihre Worte das Schicksal anderer bestimmen. 

    Für manche Journalisten in Israel glich das Interview von Yocheved einem Schuss in‘s Knie.  Die Behauptung lautete, Lifshitz habe die Hamas in einem positiven Licht dargestellt, als ob sich die Organisation um die Gefangenen kümmere, und ein solches Interview könnte außer in Israel falsch interpretiert werden. Manche nannten es „Stockholm-Syndrom“. 

    Aber die Hauptfrage ist doch eigentlich: Wie kann es sein, dass zwei alte Frauen, die kürzlich aus der Gefangenschaft entlassen wurden, von Journalisten interviewt werden und kein einziger offizieller israelischer Vertreter ist vor Ort? Wie konnte das Krankenhaus das Interview in dem Moment zulassen? 

    80-jährige Frauen, die zweieinhalb Wochen mit Monstern in Höhlen und Tunneln gewesen waren, wohlwissend, daß ihre Männer und Nachbarn immer noch in Gefangenschaft sind (und möglicherweise die Gefangenschaft nicht überleben), dürfen meiner Meinung nach alles sagen. Denn sie verstehen die Gefangenschaft und wissen, was wir nicht wissen. 

    Fotocredit: AP- Yocheved Lifshitz am Krankenhaus in Tel Aviv nach ihrer Entlassung (AP)

    Eventuell sollten alle offiziell an ihrer Seite stehen, anstatt sich  über ihre Geschichten zu beschweren! Yocheved sah innerlich und äußerlich so gebrochen aus und die Stille, mit der sie ihre Geschichte erzählte, erschütterte mich innerlich. Mir wurde klar, wie schlecht es ihr geht. Aber was könnten wir von unserer Regierung erwarten? Es ist nur ein weiterer Misserfolg in einer Kette von Misserfolgen. Lass sie alle frei, ich bitte Dich, Gott!

  • Yulis Tagebuch, Folge 25

    Gedenktag in Israel an den Holocaust und den 7. Oktober

    Erinnerungsarbeit

    Zeitzeugen stellen als Quellen historischer Erkenntnis stets eine wichtige Verbindung zwischen Generationen, Kulturen und Zeiten her. Ihre privaten Geschichten werden dabei vor allem als individuelle Erzählungen vermittelt und interpretiert. In Bezug auf den Holocaust wurden in den lokalen kulturellen Kontexten die Holocaustzeugnisse zumeist in eine umfassendere Bedeutung als die persönliche Geschichte integriert. Und trotz der zunehmenden Entfernung von jener Zeit sowie den Versuchen der Leugnung oder auch gelegentlich anzutreffender Gleichgültigkeit gegenüber dieser Vergangenheit wurde bislang die Singularität des Holocaust als einzigartiges Geschehen in der Geschichte der Menschheit bewahrt. 

    Der Holocaust wurde dabei zu einer Geschichte, durch die sich jede menschliche Gesellschaft in ihrem kulturellen Kontext zur Prüfung aufgefordert sieht. In der gegenwärtigen Realität arbeitet die Leugnungsmaschinerie der Hamas ununterbrochen, nicht nur um die eigenen Gräueltaten zu leugnen, sondern auch um auf alle Fälle den Mythos des Opfers zu behalten, auf dem das langjährige palästinensische Narrativ fußt und über das die Hamas ihre Schirmherrschaft übernahm, wie sie es offiziell in einem Dokument ausdrückt. 

    Viel mehr und im Gegensatz zu den gefilmten Gräueltaten des 7. Oktober bereiten die Hamas und ihre Unterstützer Filme über die Tötung und Zerstörung in Gaza vor, die in den Nachrichtensendungen überall im Ausland gezeigt werden und dort überaus präsent sind – und die so die Verbrechen der Hamas täglich in einen anderen Kontext stellen und unsere Geschichte zahlenmäßig in den Hintergrund drängen. 

    Die Welt hat den 7. Oktober schon fast vergessen. Schlimmer ist es, dass viele so gar keine Ahnung davon haben. Eine erstaunliche wahre Geschichte aus dem letzten Tage beginnt mit einer Facebook-Post einer Israelin, die Süditalien besuchte. 

    In einem Restaurant unterhielt sie sich mit dem Kellner und er hat ihr von seinen israelischen Freunde erzählt. Fröhlich hat ihr der Kellner das Foto von den Bekannten gezeigt, die ein paar Monate zuvor im Restaurant saßen und mit ihm das Foto aufnahmen. 

    Auf dem Foto sieht man die Touristen Shiri und Yarden Bibas, die mit ihrem rothaarigen Kind seit mehr als einem halben Jahr in Gaza in Gefangenschaft sind. 

    Der verlegene Kellner hatte davon aber keine Ahnung. Wie kann das sein, dass die Nachrichten über die Entführten nicht überall bekannt und ungeheuer wichtig sind? Wie kann es sein, dass unsere Seite in dieser Geschichte so deutlich ignoriert wird? Wie kann es sein, dass trotz der Zeugnisse und der Berichte der Entlassenen über die Vergewaltigung der Frauen und Männer in der Gefangenschaft die Frauenorganisationen noch immer Stille bewahren?

    In den ersten Tagen der Katastrophe waren es die Bilder aus den schönen Momenten vor dem Massaker, die die westliche Welt mit unserer Geschichte verbanden. Bands, die sich nie mit Israel identifizierten, wie U2 oder Coldplay sangen im Gedenken an die Musikliebhaber vor Millionen von Fans. Weil Nova den Westen symbolisierte; Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Und diese Geschichte gelangte in einen lokalen kulturellen Kontext und schaffte es, die Menschen zu berühren.

    Aber seit Israel gegen die Hamas kämpft, hat die Welt diese gemeinsamen Werte, für die wir kämpfen, augenscheinlich wieder vergessen. Die Welt hat die Fotos der Massaker unterdrückt, während Bilder aus dem Gazastreifen die Media überfluten. 

    Daraus sollten wir lernen, dass die gefilmten Beweise der Körperkameras der Terroristen und der weltweit gezeigte Atrocities Film nicht ausreichen, um mit der Leugnung und dem Vergessen der Verbrechen vom 7. Oktober umzugehen. Denn die Erinnerung basiert nicht nur auf einem Foto oder einem Video, sondern darauf, wie die Taten in einem größeren Kontext weiter angenommen und interpretiert werden und wie die Bedeutung der Beweise vertieft wird und der Zuhörer für sich die Möglichkeit der Identifikation eröffnet.

    Genau diese Arbeit wurde durch Aussagen von Holocaust-Überlebenden wirksamer geleistet als durch Filme aus dem Holocaust. Und hier sollen wir es auch machen. Nicht, weil wir die Zuhörer überzeugen wollen, sondern um mit ihnen zum ersten Mal unsere Geschichte im Ganzen zu teilen. 

    Die Vielzahl der Zeugnisse der Nova-Überlebenden, der Überlebenden der Kibbuzim, der Entlassenen aus der Gefangenschaft, die Geschichten der Opfer und mehr, sind ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte des 7. Oktober und nicht weniger bedeutsam als die Filmaufnahmen der Hamas. 

    Wer auf der Welt weiß, dass über 50 Menschen, die die Massaker des Festivals überlebt haben, später Selbstmord begangen haben?Die Trauer darüber ist unendlich. Die Israelis sind eventuell Tuff, aber sind genauso empfindlich. All dies aber muss in einen größeren Kontext eingebunden werden – menschlich und kulturell weit über das Politische hinaus –, um beim Zuhörer Verständnis für unsere Geschichte zu schaffen. Nicht umsonst nennt die historische Holocaust-Forschung dies „die Arbeit an der Erinnerung“. Denn Erinnerung ist etwas, das sich in verschiedene Richtungen verändert und entwickelt, und wir haben gegenüber den Opfern und Überlebenden die Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie erhalten bleibt.

    von Guy Morad. Haus am Kibbuz Amit Soussana Speaks About Her Days in Hamas’ Captivity
  • Yulis Tagebuch, Folge 24

    Holocaust Gedenktag in Israel und den 7. Oktober

    „Nie Wieder“-Folge

    Nie Wieder“

    In dieser Woche haben wir den Holocaustgedenktag in Israel begangen. Schon vorher habe ich die Spannung, die von diesem Datum ausgeht, gespürt. Denn noch immer sind 133 Menschen in der Gefangenschaft der Hamas, darunter ein Baby, Frauen, Väter, Kinder und sogar ein Holocaustüberlebender, der 86 Jahre alt ist. Daneben gilt die erinnerung jenen Holocaustüberlebenden, die am 7. Oktober ermordet wurden. Und natürlich trauern die Holocaust- überlebenden, die ihre Enkelkinder im Krieg verloren haben, oder die beim Überfall auf das Festival ermordet wurden – es ist schwer, ihnen in die Augen zu schauen. 

    Vor dem 7. Oktober hing der Spruch „Nie Wieder“ sehr eng mit diesem Gedenktag zusammen. In dieser Woche ist der Spruch nicht mehr so stark wie früher betont. Ja, ich kenne natürlich den Spruch „Never Again is Now“ („Nie wieder ist jetzt“), aber er enthält meiner Meinung nach eine ganz andere Bedeutung, die viel stärker lokal als universal und viel mehr eine politische als eine kulturmäßige Aussage ist. Insgesamt gibt es freilich einen großen Unterschied zwischen unserer Perspektive und, wie diese Aussage andernorts in der Welt interpretiert wird. Wir fühlen uns hier mehr oder weniger allein, und deshalb war es in diesem Jahr ein besonders trauriger Gedenktag. 

    Ich finde es falsch, zwischen dem Holocaust und dem 7. Oktober zu vergleichen. Das habe ich schon diskutiert. Aber zwischen dem Holocaust und dem 7. Oktober gibt es eine Verbindungslinie, nicht nur durch die Art der Verbrechen, sondern auch durch die Reaktion darauf. Das Geschehen hat die ganze Welt politisch aufgerüttelt, hat Tabus gebrochen wie etwa den Angriff Irans. Auch die für mich seltsame Frage des existentiellen Rechts der Juden in diesem Land ist überall wieder aufgeworfen worden. Mich erinnert die Verleugnung bzw. die Verkleinerung der Verbrechen der

    Hamas über die formellen Medien und bei ihren Unterstützern und Antisemiten über die Sozial-Media an die immer noch verbreitete Verleugnung der Shoah. Und der stumme Mund schreit: „Aber ihr habt doch selbst Verbrechen begangen, wie könnt ihr eure Gräueltaten jetzt verleugnen?“

    aus: Social Media

    Denn bei der Verwendung von Filmmaterial gibt es eigentlich keine Bindung an irgendeine Wahrheit. Und so, wie man ein historisches Filmmaterial aus dem Holocaust nutzen kann, um Erinnerungen hervorzurufen, kann man denselben Film auch dazu nutzen, die Realität zu verzerren oder zu leugnen, wie es nach dem Holocaust und wie es gleichfalls nach dem 7. Oktober geschah. 

    Trotz der Live-Dokumentierung beeilte sich die Hamas zu behaupten, dass die IDF für den Tod der Zivilisten verantwortlich sei, und brachte dies offiziell in einem am 21. Januar herausgegebenen Dokument zum Ausdruck, in dem sie alle ihr zugeschriebenen Verbrechen leugnet. Dieses Pamphlet wurde in den sozialen Medien verbreitet und wie der letztens aufgetauchte Brief von Bin-Laden erfreut es sich bei Pro-Palästinensern und Antisemiten auf der ganzen Welt großer Beliebtheit.

    Tatsächlich haben auch die Nazis ihre Verbrechen dokumentiert, aber im Gegensatz zur Hamas haben sie diese nicht veröffentlicht. Privatpersonen, die an jenen Dokumentationen beteiligt waren, und solch Filmmaterial über Gräueltaten besaßen, achteten darauf, diese nach dem Krieg zu verstecken oder gleich zu vernichten, um einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen. 

    Tatsächlich wurde die einzige verfügbare historische Dokumentation in Bundesarchiv, in der man den Akt des Massenmordes „live“ sieht, mit einer Privatkamera gefilmt und ist weniger als eine Minute lang. Daher beruht die historische Erinnerung an den Holocaust wenig auf fotografischen Beweisen der Vernichtung, sondern auf Zeugenaussagen von Überlebenden, Filmen von Ghettos, Fotos und Filmen der Alliierten von der Befreiung, u.a. Auschwitz, Bergen-Belsen usw. und wenigen Fotos und Filmen, die sich im Besitz von Nazis befanden.

  • Yulis Tagebuch, Folge 23

    Ende Oktober 2023

    (für Liri Elbag und den späten Suhaib)

    Donald Trump, der als Präsident mehr Schaden als Nutzen gebracht hat, etablierte die Nutzung „Fake News“ stark in den Medien und in die Politik weltweit. Vieles, was ihm nicht dienlich war hat er als „Fake News“ definiert, er hat sie damit für seine politischen Zwecke mißbraucht.

    Allerdings, wer an „Fake News“ glaubt, ist weder naiv noch dumm.

    „Fake News“ beinhalten etwas ziemlich Anspruchsvolles, da es einen dazu bringt, über die erfindende Idee zu reden, und sie zu debattieren, und schon durch den Akt der Diskussion, vor allem in den Medien, werden sie zu einem wichtigen Thema. Und so verwandeln sich „Fake News“ tatsächlich vom Nichts in Etwas.

    So kann man alles leugnen, genauso wie man über alles eine Nachricht erstellen könnte. Realität und Wahrheit sind halt leider sub-genres.

    Kehren wir zurück zur letzten Folge, es ist ganz ähnlich dem, was hier in Israel passiert ist.

    Ich erkläre: Eines der vielen Dinge, die uns, die Israelis, beschäftigen, und ich habe das häufig in vielen meiner Folgen erwähnt, ist die Furcht vor einer internen Arena. Diese wäre, wenn sich israelische Araber dem Krieg anschließen, wie es vor drei Jahren bei der Operation „Guardian of the Walls“ geschah. Also, es gab schon Ereignisse die dem 7. Oktober vorausgingen, die zu dieser Panik und der echten Angst der Menschen beitragen. Wenn man so will, auch einer gewissen Paranoia die zur Entstehung dieses Sturms beitragen, daß Araber, die in Israel arbeiten oder leben durch die Straßen gehen und Häuser fotografieren.

    Darüber hinaus erwies sich die Erstellung einiger dieser Veröffentlichungen als Teil der Strategie feindlicher Elemente wie der Hamas, aber auch des Iran als integraler Bestandteil der psychologischen Kriegsführung. Als Versuch, Chaos im Staat Israel zu schaffen und so den Staat von innen heraus schwächen. Denn sie sind sich der Spaltung im Land bewusst, und haben daher auch ein Interesse daran, an dieser Front Flächenbrand zu provozieren.

    Ich werde noch zwei weitere Beispiele nennen, um zu verdeutlichen, wie komplex und schmutzig dieser Krieg, wie jeder Krieg, ist.

    Eine weitere verbreitete Fälschung handelte von einem Terroropfer, einem muslimischen Araber, der die jungen Leute zum „Nova Festival“ fuhr, und von Hamas-Terroristen, obwohl die wussten, dass er ein muslimischer Araber war, ermordet wurde. In einer der Telegram-Nachrichtengruppen wurde die Nachricht verbreitet: „In naher Zukunft wird die Beerdigung des 22-jährigen Terroristen Suhaib Razeem stattfinden, der von unseren Streitkräften getötet wurde.“ Suhaib Razeem wurde an diesem Tag wirklich beerdigt, aber er war kein Terrorist, sondern ein Opfer des Terrorismus. Sein Name erschien auf den täglichen Opferlisten in allen Medien, auch erinnert das Denkmal auf dem Berg Herzel und seine Geschichte wurde weiterhin erzählt.

    https://twitter.com/omdimbeyachad/status/1714923643807945035, das Foto von Suhaib stammt aus der Twitter Seite von „Zusammen stehen“(Standing Together) und wurde am 19. Oktober 23 publiziert.

    Jedoch, am Tag seiner Ermordung wurde seiner Familie mitgeteilt, dass er ein Terrorist sei und sie sollten erwarten, daß bei seiner Beerdigung mit Unordnung zu rechnen sei. Diese Botschaft wurde gleichfalls von feindlichen „Trolls“ gesendet um Chaos zwischen Arabern und Juden im Staat Israel zu schaffen.

    Ein weiteres Beispiel stammt aus diesem Monat.

    Liri Elbag ist eine 18-jährige Soldatin, die am 7. Oktober nach Gaza entführt wurde und seit über sechs Monaten in Gefangenschaft ist. Die freigelassenen Entführten sagten, Liri habe die Toiletten der Familien in Gaza gereinigt und Essen gekocht, während sie sie nicht essen ließen. Sie duschte nach 37 Tagen zum ersten Mal und wurde später in einen Tunnel verlegt, ohne Luft, ohne Licht, und das Wasser, das sie ihr zu trinken gaben, war Meerwasser.

    Auf dem Foto: Liri Elbag, Das Bild Stammt auf dem Twitter Seite von Gili Golander , publiziert am 24.2.24.
    https://twitter.com/giligolander/status/1761215657230913719

    Anfang April erhielten Liri‘s Eltern einen Trauerkranz mit einem Zettel „Möge sie in guter Erinnerung bleiben, wir alle wissen, daß das Land das Wichtigste ist.“ Der Shin-Bet untersuchte die Angelegenheit und stellte fest, daß es sehr wahrscheinlich sei, daß die Botschaft von iranischen Akteuren geschickt worden sei.

    Anscheinend wird die Trauer der Familien und Israels, das sich erneut in einer sozialen Spaltung zwischen der Rückkehr der Entführten und der Fortsetzung des Kampfes befindet, auch zum Ziel einer Schwächung des Staates Israel von innen heraus. Unsere Feinde beobachten dies und suchen nach jeder Gelegenheit, die Flammen zu verstärken. Hier, in Europa und überall. Die Spaltung von innen schwächt die Gesellschaften, schadet der Ökonomie, schafft politische Instabilität und verstärkt die Extremisten überall. Die Lösung ist, das alles in der Öffentlichkeit zu erkennen, bis zum Ende zu kommunizieren und mit Entschlossenheit die Gemeinsamkeiten zu betonen und immer weiter die Gemeinschaft zu stärken. Ich hoffe, daß jemand mich irgendwo hört…

  • Yulis Tagebuch, Folge 22

    Ein Unglück kommt selten allein

    Bald sind wir im November. Abends wird es langsam kühler und seit wir auf Winterzeit umgestellt haben, sind die Tage unerträglich kurz und die Dunkelheit lang geworden. Aber draußen ist es noch trocken, wie mein Mund beim Fasten in Yom Kippur.

    An jedem vergangenen Tag versuchen wir mit aller möglichen Kraft weitere Informationen zu verdauen. Die Gefangenen sind immer noch nicht zurück. Kinder und Babys ohne Eltern in Gefangenschaft. Wahnsinn. Der Rest ist zu Hause auf Klonopin und immer mehr Jungen und Mädchen, Enkel und Enkelinnen stehen morgens auf, drücken Mama und Papa ganz doll, bevor sie – ohne Wahl – in die Hölle eintreten. Ja, in die Hölle, weil sie sich nicht sicher sind, ob sie jemals aus Gaza herauskommen werden. Das ist ein Ort, in dem die Chancen der dort lebenden Menschen, vor allem unter der Herrschaft der Hamas, jemals ein normales kultiviertes Leben zu führen, gering sind. Und aus Gaza kann man nur fliehen, es zu verlassen ist unmöglich.

    Im Zentrum sind wir immer noch nicht zum gewohnten Arbeits- und Schulalltag zurückgekehrt, aber wenigstens haben die Medien endlich begonnen, darüber zu reden. Im Laufe der Zeit scheint sich allerdings die Distanz zum 7. Oktober zu verkürzen. Zumal jeder Tag, der vergeht, als „ein Tag seit dem 7. Oktober“ bezeichnet wird. Es sieht so aus, als ob ein neues Tagebuch in der jüdischen Geschichte, dem Land Israel, aufgeschlagen worden sei.

    Der 10. Kriegstag, der 11. Kriegstag, der 12. Tag usw. Der 7. Oktober ist gerade aus meiner Sicht wie ein erstes Blatt in einem neuen Tora-Buch. Und zwar nicht so eines, das mit der

    Erschaffung der Welt beginnt, sondern umgekehrt, mit einer Reihe von Katastrophen und eine Erlösung ist nicht in Sicht. So ist es, denn täglich tragen sich noch zu junge Neuankömmlinge in die Liste der Toten ein.

    Ich weiß es nicht genau, wie es begann, aber es erreichte schnell durch die Social-Medien jedes Haus. Wer nicht in Social-Medien unterwegs ist, kann sich durch Nachrichtensendungen informieren. Alles verstärkt die Vielfalt der Angst, die wir alle ohnehin schon haben. Ob es sich lediglich um ein Gerücht handelte, das sich verbreitete, oder nicht, blieb unklar: Sowohl die Nachrichten auf WhatsApp als auch die Beiträge auf Facebook zum Thema berichteten pausenlos: Araber, die in Israel arbeiten oder leben, gehen durch die Straßen und nehmen Fotos der Häuser auf.

    Foto: Ein Mann macht ein Foto (dokumentiert den Hauseingang) von Hauseingang.
    Kredit: Ein Foto aus einem Video, das auf Social Media gepostet wurde.

    Genauer gesagt fotografieren sie die Eingangstüren der Gebäude und die Umgebung des Gebäudes. Es geht das Gerücht, dass es im ganzen Land stattfindet, vor allem aber in den zentralen Städten, in Tel Aviv, Petah-Tikva, Rishon-Letzion, Ramat-Gan, Givata‘im und sogar in Haifa und Beit Shemesh in der Nähe von Jerusalem.

    Das Zentrum des Landes ist derzeit Zufluchtsort für Bewohner aus dem Süden und Norden und ist das bevölkerungsreichste Gebiet Israels. Der Gedanke, dass das, was im Süden passiert ist, auch im Zentrum passieren könnte, versetzt die Öffentlichkeit derzeit in große Angst. Das Netz ist überschwemmt mit Fragen wie „Was planen sie für uns?“ ‚Sie‘ in dem Moment bedeutet Araber allgemein, einschließlich israelischer Araber. „Wo ist die Polizei?“, lautet eine vielgestellte Frage. Mindestens 200 Anzeigen gingen über mehrere Tage bei der Polizei ein. Die in Social-Medien veröffentlichten Fotos der Verdächtigen gingen viral.

    Das ist eine stressige Situation, denn in einem so kleinen Land ist es unmöglich, an allen Fronten gleichzeitig zu kämpfen. Die meisten Männer bis zum Alter von 45 Jahren sind rekrutiert und gerade an der nördlichen oder südlichen Grenze im Süden des Landes stationiert. Die Krankenhäuser sind mit Tausenden von Verwundeten überflutet, und das Zentrum des Landes ist eigentlich voll mit Kindern und Frauen, und Evakuierten, die meisten von ihnen sind traumatisiert und brauchen sofort psychologische Hilfe. Diejenigen, die im Zentrum wohnen oder hierher kommen, wie ich und meine Familie, sind weitgehend auf die Hilfe der israelischen Polizei angewiesen, sonst können wir uns mit Blechdosen schützen … versuchen irgendwie unser Glück.

  • Die Würde des Menschen …

    Leipzig feierte sich und seine Verbundenheit zu Israel, zu seinen jüdischen Mitbürgern, stand zu seiner Vergangenheit und zu dem NIE WIEDER!

    Nun nach dem 7. Oktober 2023 zur Illustration des aktuellen Stimmungsbildes ist es eine wichtige erinnernde Reflexion – dass die von der Veranstaltung zur seinerzeitgen jüdischen Woche beschworenen Gewißheiten in einer Stadt wie Leipzig so bröckeln könnten, ist doch eine bestürzende Einsicht …

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    Blick in den Saal am 2. Juli 2021 in der Alten Börse in Leipzig.Foto: Matthias Seidler

     14. Jüdische Woche in Leipzig
    Die Würde des Menschen …
    … ist unantastbar. Ist Sie das wirklich?

    Nach dem größten Zivilisationsbruch des 20. Jahrhunderts gehörte diese Feststellung nach Meinung seiner Schöpfer in das Grundgesetz der 1949 gegründeten alten Bundesrepublik Deutschland. Das Dritte Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg hatten Kräfte und Taten entfesselt, die auch nach 1945 wirkten und an deren Folgen heute noch weltweit gelitten wird.

    Dies nicht dem Vergessen anheimfallen zu lassen ist ständige Aufgabe ebenso wie Lehren zu ziehen, im Großen, wie im Kleinen. 
    Die Stadt Leipzig z.B. erinnert alle zwei Jahre mit einer Jüdischen Woche daran, dass in ihr einmal eine der größten jüdischen Gemeinden Deutschlands ihre Heimstatt hatte, deren liberaler Teil die Stadtentwicklung bis 1933 entscheidend mitprägte. Im Leipziger Musikleben waren sie oft treibende Kraft u. a. im Ringen um eine angemessene Würdigung des Leipziger Musikgenies Richard Wagner. 

    Musikverleger Henri Hinrichsen und Chorleiter Barnet Licht stritten für ein Denkmal, Gustav Brecher als Generalmusikdirektor der Leipziger Oper bereitete umfänglich Wagners Bühnenwerke für die Gedenkjahre 1933 und 1938 vor, Letzteres mit der nie dagewesenen Aufführung aller Wagnerschen Werke. Er konnte es selbst nicht mehr umsetzen, weil er aus der Oper gebrüllt und dann kaltgestellt 
    wurde. Mit der Berufung Adolf Hitlers zum Reichskanzler und der schrittweisen Machtübernahme durch die NSDAP und ihre Gliederungen brach diese Entwicklung ab und endete für die hier genannten Protagonisten tragisch. Tragisch auch deshalb, weil sie sich bis zuletzt ihre Würde nicht nehmen ließen, die nun als  antastbar galt.

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    Der Vorstandsvorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, Küf Kaufmann, bei der Eröffnung der Jüdischen  Woche am 27. Juni auf dem  Leipziger Augustusplatz. Foto: privat

    Daran knüpfte auch das vielfältige Programm der Jüdischen Woche 2021 an, das mahnend aber auch fordernd zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit einlud, dabei Gegenwärtiges bot und zur Gestaltung einer gemeinsamen friedlichen Zukunft einlud. Der Autor dieser Zeilen kennt deren Bedeutung nur zu gut, leitete er doch neun Jahre das Einladungsprogramm der Stadt Leipzig für vor 1945 
    geborene jüdische Leipziger.

    Vergangenheit und Würde trotz tragischem Ende bestimmten auch die Veranstaltung am Abend des 3. Juli in der gut besuchten Michaeliskirche im Stadtteil Gohlis. Deren Höhepunkt wurde die Lesung des kleinen Monodramas von Franz Werfel „Der Arzt von Wien“, in welchem dieser, um der Deportation zu entgehen, Selbstmord begeht. Kein Einzelfall, wie das Schicksal des o. g. Gustav 
    Brecher im Jahr 1940 bezeugt. Ein erschütterndes Dokument von Hilflosigkeit und Verzweiflung. Wer, wenn nicht der von Fernsehen und Bühne deutschlandweit bekannte und gefeierte Friedhelm Eberle, ein Leipziger Theaterurgestein, konnte diese szenische Lesung nachdrücklicher gestalten. Ketevan Warmuth, seine langjährige Partnerin in vielen gemeinsamen Programmen, kommentierte exzellent 
    die einzelnen Textpassagen am Flügel durch sehr stimmige „Klezmer“-Musik.

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    Kommt extra: Kammersänger Bernd Weikl, Dr. Christiane Meine, Vorsitzende des Fördervereins internationales Kurt-Masur-Institut e.v.Dr. Gerald Diesener,  Universitäts Verlag Leipzig, Professor Friedhelm Eberle. Foto: Matthias Seidler

    Eberle, dessen tiefe Interpretationsfähigkeit niemanden unberührt lässt, gestaltete auch am Abend davor eine der Musik und ihren Protagonisten gewidmete Veranstaltung in der Alten Handelsbörse am Naschmarkt, als deren wichtigste Verbindung gleich einem Scharnier der auf Einladung von Oberbürgermeister Burkhard Jung und Küf Kaufmann, Vorsteher der Jüdischen Gemeinde zu Leipzig, 
    aus Hamburg angereiste Kammersänger und weltweit gefeierte Wagnerinterpret Bernd Weikl steht. Von seiner Person ausgehend entfaltete sich ein ganzes Kaleidoskop an Bezügen und Zusammenhängen, die, zu einem Programm komprimiert, das Besondere dieses Freitagabends in Leipzig ausmachten. Das brachte die Ärztin Dr. Christiane Meine, Vorsitzende des Fördervereins des Internationalen Kurt Masur Instituts, der gemeinsam mit dem Institut für Kulturund Universalgeschichte Leipzig e.V. diesen Abend ausrichtete, in ihrer Begrüßung dem erwartungsvollen Publikum im passabel besuchten Haus dar.

    Meine, für die diese Vortragsveranstaltung „Kurt Masur in Israel – Musik überwindet Grenzen“ zugleich Höhe- wie auch Endpunkt Ihres Wirkens im Förderverein war, artikulierte mit „Versöhnung, Verständigung und Freundschaft zwischen Deutschen und Juden wie zwischen Deutschland und Israel“ das Credo Bernd Weikls, das den ganzen Abend über der Veranstaltung schwebte. Der Sänger schöpft aus einem großen Reservoir an vor allem auch Lebenserfahrung, sang er doch als AltBundesbürger unter der Stabführung Kurt Masurs beim letzten Staatsakt der DDR am 2. Oktober 1990, wenige Stunden vor dem Beitritt des zweiten deutschen Staates zum Geltungsbereich des bereits erwähnten Grundgesetz der BRD, im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Dieser Bernd Weikl initiierte kurz zuvor 
    und sang auch in der Hauptrolle die – inzwischen in Israel legendäre – Aufführung des in Leipzig verfassten und uraufgeführten Oratoriums „ELIAS“ von Felix Mendelssohn Bartholdy in Jerusalem und Hamburg zum 40. Jahrestag der Staatsgründung Israels. Er stellte den Kontakt zur israelischen Kulturwissenschaftlerin Dr. Yael Ben-Moshe, Hochschullehrerin in Haifa und Jerusalem, her, die – Corona sei es geschuldet und geklagt –ihren Vortrag zu Kurt Masur und dem Israel Philharmonic Orchestra nicht persönlich halten konnte.

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    Professor Friedhelm Eberle liest aus „Masur in Israel“ von Dr. Yael Ben Moshe. Foto: Matthias Seidler

    Doch alles ist mit allem verbunden, denn der vortragende Wortkünstler Friedhelm Eberle las nicht nur gut und akzentuierte perfekt. Er selbst war mit einem anderen Projekt mit beiden – dem Orchester und dem Dirigenten – bereits in Israel zu Gast. 
    Eberle strahlte vor allem Authentizität aus. Der Inhalt ist leicht zusammengefasst und ist vor allem für die jüngere Generation ein Lehrstück, um nachzulesen und zu hören, wie Kommunikation und Kooperation in Zeiten des Kalten Krieges mal schlecht, mal recht funktionierten und am Ende doch große Kunst ermöglicht wurde. Dazu kam der Umstand, dass die DDR und Israel keine diplomatischen 
    Beziehungen unterhielten. Es bedurfte manchen Zufalls, fähiger Köpfe, Menschen die ein Ziel kontinuierlich verfolgen und immer einen Ausweg finden. Kurt Masur, ein Deutscher, ein Ostdeutscher gar, als Dirigent des Israel Philharmonic Orchestra in Israel, auch in den USA, das ist ein Untersuchungsgegenstand, den es zu erforschen und von allen Seiten zu beleuchten gilt. Es begann mit dem Anstoß durch den Ideengeber und Stardirigenten Zubin Mehta und führte bis zum Höhepunkt – längst nicht dem Ende -, als das Orchester Kurt Masur 1992 mit dem Titel Ehrendirigent auf Lebenszeit auszeichnete. Die Beziehungen zwischen Deutschen und Juden, zwischen Deutschland und Israel bleiben besondere, aus der Geschichte heraus aber auch heute gelebt von Menschen dieser Qualität und Güte.

    Nach dem Vortrag war klar, dass die Ankündigung, das erweiterte Thema in Leipzig in Buchform erscheinen zu lassen, eine Verheißung ist.

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    Die Alte Börse zu LeipzigFoto: Matthias Seidler

    Der zweite Teil des Abends wurde musikalisch, wiewohl eingeführt wiederum von Friedhelm Eberle, der die Biografie des 2020 verstorbenen Adolph Kurt Böhm vortrug, seit 1995 „Gerechter unter den Völkern“ in Israel und enger Freund von Kammersänger Bernd Weikl. Es war nicht zum ersten Mal, dass man in Leipzig von und über „Mutz“, wie er sich gern nennen ließ, hörte. Masur und er haben auf den ersten Blick nicht viel mehr gemein, als den Vornamen Kurt, nach den Geburtsjahren 1926 und 1927 die gleiche Lebenszeit, nur an unterschiedlichen Orten und dass beide Vollblutmusiker waren. Der eine im klassischen Genre, der andere in der Unterhaltungsmusik, die er nach seinem Klavierstudium in Paris pflegte. Als Halbjude war Böhm von Franken nach Paris emigriert, half mit seiner Mutter dort anderen Emigranten und wurde so für das Leben geprägt. Zurück in Deutschland betätigte er sich vor allem als Liedbegleiter und Komponist und verriet sich dabei als unerschütterlicher Romantiker, was auch seine mit „Musik und Menschlichkeit“ betitelten Memoiren preisgeben.

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    Pianist Karl-HeinZ Müller und die Sopranistin Ruth Ingeborg Ohlmann. Foto: Matthias Seidler

    Davon konnte sich auch das Publikum bei einem kleinen Konzert überzeugen. KarlHeinz Müller, im erfüllten Arbeitsleben Solorepetitor an der Oper Leipzig, Studioleiter und Kapellmeister in Altenburg und der Musikalischen Komödie in Leipzig sowie Hochschullehrer in Leipzig und Weimar, begleitete am Klavier Ruth Ingeborg Ohlmann zu einer Reihe Böhmscher Kompositionen. Ohlmann, in Kanada 
    ausgebildet und mit erstem Engagement an der Oper Montreal, danach von Zürich bis Leipzig, schaffte es mit ihrem Gesang, unterstützt von Mimik und Gestik, die romantische Grundhaltung Böhms in seinen Werken zum Klingen zu bringen. Fröhlich und mit dem Blick nach vorn und mit vom Publikum qua Applaus erheischter Zugabe.

    Der Autor fühlte sich an sein Beisammensein mit den alten jüdischen Leipzigern verbunden, wenn um 2005 das Salonorchester Cappuccino unter Albrecht Winter an gleicher Stelle Musik der 20er und 30er Jahre bot und in Ihnen die schönen Seiten  jener immer härter werdenden Jahre zum Klingen brachte, wenn Mitgesungen, mit Fuß, Bein oder ganzem Körper dem Rhythmus gefolgt wurde. Musik und Menschlichkeit, denn Musik überwindet Grenzen.

    Thomas Krakow

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  • Yulis Tagebuch, Folge 21

    Iran is Calling

    Etwas hat sich tiefgreifend verändert in Israel. Wir befinden uns in  einer langen STUNDE NULL, und dies in jeder Hinsicht. Sei es in der Sicherheit, in der Gesellschaft, in der Politik, in der Wirtschaft, sogar in der Beziehung zwischen der Religion und dem  Staat. Mit ultraorthodoxen Parteien, die die Jugend in der Yeshiva dem Militär beizutreten ermutigen, und im Gegensatz zu den anderen Ultraorthodoxen, wie die aschkenasische Partei Degel Hatora, die lieber sterben würden, als die Thora nicht zu studieren. 

    Mit Demonstranten gegen die Regierung und gegen die Partei, die angeblich eine religiös-nationalistische Strömung vertritt (Ben-Gvir, Smotrich). Allerdings repräsentieren die vorbestraften Extremisten, die an ihrer Spitze stehen, nichts von dieser Strömung, die zur Geschichte Israels in jeder Hinsicht beigetragen hat. 

    Und die Linke, die mit dem Fall des Ostblocks und dem Eintritt der östlichen Länder in die Europäische Union einen Großteil ihrer Grundlage verloren hat, büßte ihre Relevanz vollständig ein, als es ihr nicht gelang, sich politisch mit den neuen Technologien und in die Weltwirtschaft – diese scheinbar allen Möglichkeiten eröffnete, allerdings die Klassenunterschiede jedoch verschärfte – zu integrieren. Auf diese Weise brach die Linke in allen westlichen Ländern und auch in Israel zusammen, und hinterließ uns dafür ein Spektrum mittlerer, rechter bis rechtsextremer Parteien. Aber auch mit über einer Million verlorener Menschen in Israel, die sich vernachlässigt fühlen und ihre Stimme im Land nicht äußern können. 

    Demonstrationen in Israel veröffentlicht am 6.4 in Globes Zeitung Online https://www.globes.co.il/news/article.aspx?did=1001475796 Foto Kredit: Hofshi Be’artzenu

    Der Führer dieses Landes ist gegenüber seinen Bürgern – wie man es nur gegenüber Gefangenen tut – taub. Deshalb demonstrieren die Menschen seit mehr als einem Jahr und geben nicht auf. Nun warten wir also auf den Iran. Und um ehrlich zu sein, es ist in einer Art einfacher, mit jemandem umzugehen, von dem man im Voraus weiß, dass er ein Feind ist, als mit jemandem, der ein Teil von einem ist und sich letztendlich wie ein Fremder verhält.

    Und dennoch befindet sich hier ein weiteres Problem. Denn wenn ich mich an all die wunderbaren Iraner erinnere, die ich in Deutschland getroffen und mit denen ich gefeiert habe, weiß ich, wie sehr die Iraner und die Israelis nicht wirklich Feinde sind. Und die herzliche virtuelle Umarmung, die die iranischen Bürger von Zeit zu Zeit über das Internet anonym an den Staat Israel schicken, beweist stark, wie sehr dieser Konflikt der einer fanatischen Religionsgruppe ist, die dort an der Macht sitzt. 

    Dieser Konflikt, ist nicht der Konflikt der Millionen Bürger, die hier und dort leben. Und das ist nicht nur meine Meinung, sondern die allgemeine Meinung in Israel seit der islamischen Revolution Ende der siebziger Jahren in Iran. Aber wer feiert diese Krise? Natürlich die Rüstungsindustrie weltweit. Sie haben wahrscheinlich einen Plan, uns alle loszuwerden und eine neue bessere Menschheit zu erschaffen. 

    Das große Problem besteht noch darin, dass,  wie im nationalsozialistischen Deutschland – dann, wenn in einem Land, in dem die Mehrheit seiner Bürger intelligent sind, ein verrückter Herrscher herrscht, diese Kombination fatale Folgen hat. Allerdings scheint es so, als sei die Welt dieses Mal auf unserer Seite und wartet ab, wie der Iran reagieren wird. 

    Aber keine Sorge, die Welt macht es halt aus Neugier, und nicht weil es irgendjemanden wirklich interessiert. Wie man in den Krimis so einfach sagt: „Fortsetzung folgt“. Ich hoffe zumindest, weil ich unruhig bin. Noch ein realistischer Albtraum ist das letzte, was ich jetzt brauche. 

  • Yulis Tagebuch, Folge 20

    Who’s Calling?

    Heute ist der 7. April, ein Sonntag. Aber für mich ist es gerade EIN TAG, AN DEM ICH WARTE. Ich warte. Im Moment sitze ich und warte ab. Ich weiß nicht genau worauf, aber ich kann nichts anderes tun als zunächst auf das Zeichen warten.

    Letzte Nacht fuhr ein Motorrad auf der Straße vorbei und ich dachte, ich hätte die Sirenen kommen hören, aber nach drei Sekunden fuhr das Motorrad weiter und die Stille kehrte in die Dunkelheit zurück. Dann bin ich ins Bett gegangen, aber in meinem Kopf war ich immer noch beim Warten. Ihr versteht immer noch nicht, worauf ich warte? Ich dachte, dass ihr in dieser Phase des Kennenlernens bereits so viel über mich wisst … Ernsthaft, was meint ihr, ich warte, dass ER mit einem Blumenstrauß kommt? Oder auf die Pizzalieferung? Oder vielleicht warte ich darauf,  im Lotto zu gewinnen? 

    Nein, nein und nein. Ich warte auf den Gegenschlag Irans. Ich weiß nicht wie, wann und wo die Reaktion ausfallen wird, aber im Gegensatz zu anderen Dingen in meinem Leben weiß ich, er wird kommen. 

    Allerdings möchte ich, wenn wir in den Sicherheitsraum nach unten gehen sollen, in der Alltagskleidung und nicht im Schlafanzug gekleidet sein. Warum ist mir das wichtig? Weil man in verrückten Situationen die verrücktesten Gedanken hat. Was mich unter anderem gerade beschäftigt … aus der Albträumeliste dieser Woche zwei Beispiele, die können es vielleicht besser erklären. 

    Heute Nacht habe ich von Nazi-Deutschland geträumt. Letzte Nacht habe ich von Romi Gonen geträumt – Romi, die inzwischen über ein halbes Jahr in der Gefangenschaft bei einer muslimischen Terror-Organisation leben muß. Deshalb, wenn es in der Mitte der Nacht passieren würde, will ich nicht stundenlang im Schlafanzug mit den Nachbarn meiner Eltern im Sicherheitsraum festsitzen. Und das ist zumindest ein Bild, dass ich etwas tun kann und mir gelingt, diese Angst aus meinen Gedanken streichen.

    Diese Zeiten erinnern mich ein wenig an den Golfkrieg. Auch damals warteten wir. Wir gingen mit Gasmasken zur Schule. Um es erträglich zu machen, haben wir die Maskenboxen in rosa, grün, hellblau und anderen schönen Farben angestrichen und darauf sowas wie Regenbogen oder Teddybären gemalt. So konnten wir uns vorstellen, dass sich in der Box magische und gute Dinge befinden. Meine Eltern gingen dann nicht einmal in den Sicherheitsraum. Sie gehören zur Generation der damaligen Kriege, wie Der 6 Tage Krieg, Yom Kipur usw., in denen Israel seine Grenzen gegen die Nachbarländer verteidigte. 

    Deshalb machten sie sich keine großen Gedanken um einen Krieg mit einem Land, mit dem Israel keine Grenze hat. Sie waren nicht so ganz überzeugt von einer Bedrohung durch die Skad-Raketen aus dem Irak. Zum Zeitpunkt des Alarms ging meine Mutter nonchalant auf den Balkon, um Wäsche aufzuhängen, nachdem sie mit ihrem Bruder lange am Telefon diskutiert hat, der zuvor die Raketen von seinem Hausfenster aus genau gesehen hatte und die Einschläge unweit von seinem Haus beobachten konnte. 

    Damals gab es noch kein Internet, alle Informationen, die wir damals hatten, wurden vom Fernsehen oder Radio übermittelt. Ganz genau kannten wir zwei wichtige Männer: Die USA hatten General Schwarzkopf und wir hatten Nachman Shai. Sie vermittelten uns die Informationen, die wir nach dem Willen der Regierungen wissen sollten. Und wir warteten jeden Tag darauf, dass wir erfuhren, was um uns herum geschah und was mit uns passieren würde.

    Für mich kommt mir das wie gestern vor. Denn, obwohl wir uns in einer Ära endloser Informationen aus allen Richtungen und unzählige Medien befinden, brauche ich jetzt einen professionelleren Filter, der für mich herausfiltert, was gerade wichtig ist und mir dabei verrät, was mit uns passieren wird. Ja, so wie damals …

    War stories („Sipurey Milchamot“) – Eli Huli
  • Yulis Tagebuch, Folge 19

    Folge 19: 

    Für das rothaarige Baby und das Kind in Gefangenschaft

    2019 nahm ich an einer Konferenz der European Association forIsrael Studies (EAIS) in London teil und hielt einen Vortrag über Terrorismus und Trauma nach der zweiten Intifada. Am Ende des Vortrags wurde ich gefragt, wie ich Terrorismus definiere. Das Publikum argumentierte, dass ich die Angriffe der zweiten Intifada nicht als Terrorismus bestimmen könne, weil es sich um eine legitime Opposition handelt. Schon damals verstand ich, dass die Ermordung von Israelis durch Explodieren eines Sprengsatzes in einem Bus von den Londoner Wissenschaftlern als berechtigte Opposition angesehen wurde. Und generell, so meine Wahrnehmung, befasste sich ein Großteil der Konferenz unter dem Titel „Israel Studies“ an der University of London mit Israelkritik.

    Die Unterstützungen sowohl der Akademiker als auch der demonstrierenden Massen in Europa kommen also nicht aus dem Nichts. Dieser Ansatz wird seit Jahrzehnten in den Räumen der renommiertesten Universitäten und wird über die Medien gepflegt. Es hat angefangen mit linken Bewegungen in der sechziger Jahren, und ist mittlerweile stark und ständig von islamischen Kräften (ökonomische und politische) unterstützt und finanziert. 

    Heute ist dennoch einmal ein „Happy Tag“. Denn heute wurden zwei amerikanische Geiseln freigelassen. Ohne Deal oder Erklärung. Es war ein glücklicher, aber auch ein seltsamer Moment. Es ist, als würde die Mannschaft der Raumfähre Columbia, nachdem sie sich beim Flug durch die Atmosphäre aufgelöst hatte, plötzlich zu Fuß aus der Dunkelheit auftauchen. Es ist, als würde man zusehen, wie Menschen im Pyjama aus der Hölle zurückkehren; eine Mutter und ihre Tochter. 

    Den Veröffentlichungen zufolge waren die USA an ihrer Freilassung „stark beteiligt“. So heißt es in den Zeitungen. Doch die Zahlen zeigen derzeit, dass es in Gaza noch 210 weitere Entführte gibt. Darunter sind viele Kinder. Es ist eine Schande, dass Biden nicht stark an der Freilassung weiterer 210 Zivilisten beteiligt war. Was ist mit dem kleinen, neun Monate alten Baby in der Gefangenschaft. Wie isst es? Lassen sie es ein wenig spielen? Lächelt es manchmal? Ist es ihm nachts warm genug? Ich kann den Schmerz um das Leiden um diese Kinder nicht unterdrücken. Er erstickt mich vor Traurigkeit. Alle sind die Kinder von irgendjemand, die gerade erst Sukkot gefeiert haben, oder auf einer Party waren, oder im Bett am Samstag um 6 Uhr morgen aus ihrem Traum in einem Albtraum aufgewacht sind.

    Die Freilassung von Judith and Natalie Raanan am 20. Oktober 2023 (ohne Kredit)

    Von Zeit zu Zeit hören wir hier eine Explosion, mal entfernt, mal näher. Selbst daran stellt sich langsam Gewöhnung ein. Was jedoch immer schwieriger wird, ist die Zeit zu Hause. Die Ende Juli begonnenen Sommerferien dauern bereits bis Ende Oktober. Die Kindergärten, Schulen, die Nachmittags-Aktivitäten, alles ist noch geschlossen. Den Kindern wird langsam langweilig, und es scheint, als stünden sie jeden Moment kurz vor dem Ausbruch. 

    Bisher kann ich nicht arbeiten. Das Schreiben kommt nicht aus mir heraus. Ich schaffe es nicht, einen einzigen klaren Satz zu formulieren, und im Moment erzeugt selbst das Lesen einer Zeitung eine mentale Belastung in mir. Ich habe im Moment genug damit, mich mit den Bildern, den Sichten, den Geräuschen, den Gerüchen um mich herum auseinanderzusetzen und zu versuchen, damit zu leben. Heute besuchen wir aber endlich eine Familie und gehen dann vielleicht zusammen in den Park. Ja, ich habe mich an die Explosionen über meinem Kopf gewöhnt, aber an die in meinem Kopf mich zu gewöhnen, ist viel schwieriger für mich.