Mia Shem
Vor dem 7. Oktober war Mia Shem ein junges Mädchen, 21 Jahre alt, das gerne die Welt bereiste. Ein Mädchen mit Selbstvertrauen und Ambitionen. So spiegelten es auch ihre Fotos auf Instagram wider. Sie lernte zu tätowieren und arbeitete in einem Tattoo-Studio, ein Beruf, den sie in Zukunft ausüben wollte. Außerdem liebte sie, zu zeichnen und zu kochen. Mia kam mit ihrem besten Freund, Elia Toledano (28), zum Nova Festival. Elia wurde später von Hamas in Gaza ermordet.
Als die Schießerei begann, stiegen Mia und Elia sofort ins Auto und fuhren los. Nach 25 Minuten Fahrt trafen sie auf dem Weg auf zwei Lieferwagen mit bewaffneten Terroristen, die direkt auf ihre Autofenster schossen. Einer von ihnen, der sich dem Fahrzeug näherte, schoss Mia aus kürzester Entfernung in die Hand. „Ich wollte nicht sterben“, berichtete sie und fing an zu schreien: „Ich habe keine Hand!“ Dann kam aus dem Nichts ein weiteres Auto mit vier Terroristen. „Einer von ihnen zog mich an den Haaren, setzte mich in sein Auto, und drücke meinen Kopf zwischen meine Beine – und wir fuhren nach Gaza“, erzählt sie weiter.
Mia erzählte, dass dort vier Terroristen zu ihr gekommen sind: „Komm schon, Video“. Sie verstand nicht, warum sie ein Video von ihr machten, aber dann erinnerte sie sich plötzlich an Gilad Shalit, der fünf Jahre in Gefangenschaft war, und sagte sich: Es gibt die Möglichkeit, das ich jetzt jahrelang hierbleiben muss.
Nach ein paar Tagen veröffentliche Hamas ein Video von Mia: „Hey, ich bin Mia, 21 Jahre alt, ich bin in Gaza (ab und zu schaut sie zu der Person auf, die vor ihr steht, wenn sie redet), ich hatte eine Operation an meiner Hand. Ich werde versorgt, sie geben mir Medikamente. Alles ist in Ordnung, ich bitte sie nur darum, mich so schnell wie möglich nach Hause zu bringen.“ Die Operation an ihrer Hand war von einem Tierarzt durchgeführt worden.
Sie verbrachte fast zwei Monate auf einer Matratze mit einem Terroristen, der sie 24 Stunden am Tag bewachte. Weinen war nicht erlaubt. Denn wenn du weinst, schicken sie dich in den Tunnel. Sie wurde in einem 2,5 Quadratmeter großen Raum im Haus einer Familie festgehalten. Sie und der Terrorist waren 55 Tage lang 24 Stunden am Tag im selben Raum.
Der Raum war geschlossen. Er starre sie oft an, und sie hatte Angst vergewaltigt zu werden oder dass er jeden Moment plötzlich die Waffe ergreift und sie erschießt. Es gab Tage, an denen sie Essen bekam, und es gab Tage, an denen sie nichts bekam. Manchmal öffneten die Kinder von der Familie die Tür, redeten über sie, lachten über sie. Man betrachtet sie, als wären sie ein Tier und kein Mensch, sagte Mia. Sie darf nicht reden, nicht weinen, nicht bewegen. „Ich dachte an Mama und Papa und daran, was sie jetzt durchmachen, und ich dachte auch an Thailand, wie ich mit Mama am Strand ein Sonnenbad nehme und wir über alles reden, was passiert ist“, erzählt sie.
Irgendwann wurde Mia zusammen mit der Familie, die sie überwachte, aus der Wohnung wegtransportiert. Einige der Übergänge waren mit einem Krankenwagen. Sie sah 54 Tage lang kein Tageslicht, sie duschte 54 Tage lang nicht und schlief sehr wenig. „Es ist sehr schwer zu schlafen, wenn ein bewaffneter Mann mit dir in einem Zimmer sitzt und dich anstarrt“, erinnert sie sich. Jener Bewacher versuchte auch, Mia zu unterdrücken, indem er ihr sagte, dass sie mindestens ein weiteres Jahr, vielleicht sogar Jahre in Gefangenschaft bleiben würde. Währenddessen hört sie draußen die Bombeneinschläge. Manchmal wurde sie von den Druckwellen quer durch den Raum geschleudert. Das hat sie tatsächlich beruhigt, weil ihr klar wurde, dass man sie nicht vergessen hatte.
Dann war es eines Tages still. Absolute Stille. Am 49. Kriegstag wird ein erstes Geisel-Abkommen wirksam. Einige Tage vor ihrer Freilassung brachte man sie an einen anderen Ort, wo sie – nach 50 Tagen allein – auf weitere Entführte trifft. Alle sahen aus wie gebrochene Menschen, so hat Mia es beschrieben. Und es ist russisches Roulette, weil einige freigelassen werden und andere nicht. Mia wird in der letzten Runde freigelassen. Jetzt muss sie sich von den zurückbleibenden Entführten verabschieden, und jene bitten sie, dafür zu sorgen, dass niemand sie dort vergisst. Und Mia entschuldigt sich dafür, dass sie freigelassen ist: „Tut mir leid, tut mir leid, ihr kommt raus, ich verspreche es euch, sie lassen euch frei.“
Dieser Moment lässt sie nicht los. Vor allem, weil sie bis heute noch dort sind. Kurz vor der Abfahrt, auf dem Heimweg, drehen die Hamas-Propagandisten ein weiteres Video. Sie kommen mit der Kamera zum Auto und sagen ihr: „Sagen Sie gute Worte über die Menschen in Gaza“. Und Mia sagt, was sie wollen, und wartet nur darauf, aus der Hölle herauszukommen.
Als sie ein IDF-Fahrzeug auf sich zukommen sah, wurde ihr klar, dass dieser Teil des Albtraums vorbei war.
Fortsetzung folgt…