Yulis Tagebuch, Folge 44


Der Weltkrieg (Die Mini-Version)

Im Moment der seit dem 7. Oktober 2023 im Nahen Osten gefährlichsten Eskalation der Situation mit unabsehbaren Folgen erreicht uns dieses bedrückende Stimmungsbild – wir möchten es weiterreichen mit dem Wunsch, in unserer Solidarität mit dem israelischen Volk und der Forderung, alles zu tun, um einen dauerhaften Frieden zu gewinnen, nicht nachzulassen. 

Den Freitagabend verbringen die meisten Israelis traditionell zu Hause, vor allem im Kreise der Familie, aber auch gern mit Freunden. Gemessen an den weiteren Wochentagen herrscht am Freitag stets eine etwas andere, durchaus festlich anmutende Stimmung. Der Duft des leckeren Essens trägt dazu bei, die Sauberkeit und Ordnung überall im Haus, der volle Kühlschrank für die gemeinsamen Mahlzeiten und auch die gefüllte Shopping-Tüte. 

Egal, ob die Israelis in die Synagoge gehen oder zu Hause beten, vielleicht auch gar nicht beten möchten – die allgemeine Atmosphäre ist sehr warm. Und abends herrscht Stille auf der Straße, eine Stille, die zu Frieden, Liebe und Zusammengehörigkeitsgefühl einlädt. 

Hamas-Führer Ismail Hanija mit Hassan Nasrallah (AFPPhoto/HG/HEZBOLLAH’S AL-MANAR TV)

Aber an diesem Freitag herrschte vor allem Angst in mir. Es war bestimmt bei allen so. Gäste wurden nicht eingeladen. Zwischen den glücklichen Momenten angesichts des Erfolgs und den Medaillen bei den Olympischen Spielen und dabei die israelische Fahne ohne palästinensische Demonstranten im Hintergrund zu sehen, habe ich die meiste Zeit über die Angriffe aus dem Iran, von den Huthis, von der Hisbollah, aus dem Libanon und Irak gelesen. 

Wie lebt man in dieser Realität? Ich weiß es nicht, fragt jemand anderen, denn es ist im Augenblick zu viel für mich. 25.000 Israelis sind, hört man, im Ausland, die keine Flüge mehr bekommen, um nach Hause zurückzukehren. Und ich denke da an eine Mutter, oder einen Vater, Paare oder Freunde, die sich so sehr wünschen, zusammen zu sein. Die Kinder meiner Freundin sollten ihren Vater in Italien treffen. Denn er bleibt dort und sie bleiben hier. Es gibt kein Hinausgehen und kein Kommen. Alle Fluggesellschaften haben ihre Flüge von und nach Israel gestrichen. Atmosphäre des Krieges, wieder einmal. 

Ich wollte eigentlich über die sechste Runde der Geiselentlassung schreiben. Also verzeiht mir, aber es ist mir gerade unmöglich, über vergangene Ereignisse zu schreiben, denn ich warte auf den brutalen Angriff auf Israel. Was bald bei uns passieren wird, beschäftigt mich gerade vollkommen. Ich höre bereits die Sirenen in meinen Ohren und spüre sie im ganzen Körper, sogar bevor sie zu heulen begonnen haben. Um zu entspannen, esse ich öfter. Ich verbrachte den größten Teil des Tages vor dem offenen Kühlschrank. 

Außerdem habe ich IHM auch eine Nachricht geschickt. Ich habe geschrieben, dass ich ihn schon lange sehr vermisse. Ob das ein Fehler war oder nicht, ist mir egal. Das sind Kleinigkeiten. Ich bin  endlich erleichtert und das ist am wichtigsten. Ich wollte es nur aus meinem Magen bekommen, weil es mir weh tat. 

Bevor das Chaos begann, sollten wir am Wochenende zum 7. Geburtstag unserer jungen Verwandten Annabel in Richtung Haifa fahren. Mein Sohn freute sich schon auf das Fest mit Baden im Gartenpool und allen möglichen Spielen. Aber am frühen Freitagmorgen riefen ihre Eltern an, um Bescheid gegeben, dass alles  verschoben wird. Das hat mich nicht überrascht, denn niemand weiß, wann und was passiert, und auch eine Reise ist momentan nicht sicher.

Ich weiß nicht, ob das etwas mit seiner Enttäuschung zu tun hat, ein paar Stunden später bekam er Fieber und Halsschmerzen. Ich habe ihn zur Notfallpraxis bringen müssen. In Israel schließen die meisten Geschäfte freitags, mit Ausnahme von Restaurants, Tankstellen und ein paar Supermärkten um etwa 14.00 Uhr. Es gibt Sonderdienste, Notzentralen usw., die am ganzen Wochenende zu einem günstigen Preis arbeiten. Also, dieser Freitag fühlte sich an wie ein Notfall aus allen Richtungen. 

All das passiert quasi in Folge des Anschlags gegen Ismail Haniya, den Anführer der terroristischen  Organisation Hamas. Ob ich der Meinung bin, dass der Tod von Ismail Haniya uns hilft?Was das Geisel-Abkommen angeht, hoffentlich. Wird der psychologische Druck, den Israel erzeugt hat, die Terroristen tatsächlich dazu zu bringen, das Geisel-Abkommen zu befolgen? Die meisten Stimmen behaupten, dass es den gegenteiligen Effekt hervorrufen wird. Ich weiß nicht, vermag auch nicht einzuschätzen, was in der Praxis passieren wird. 

Ich weiß nur, dass man das Dreieck Hamas-Hisbollah-Iran destabilisieren und ihm Schaden zufügen muss. Die Beseitigung der terroristischen Führung auf diesem oder einem anderen Weg ist unumgänglich, Millionen von Zivilisten leiden unter ihr – in Gaza, im Iran, im Libanon und in Israel. 

Außerdem muss der Geldstrom an die Terroristen gestoppt werden, denn wenn es niemanden gibt, der die Organisation finanziert, wird die Organisation auseinanderfallen. Natürlich wird es auch weiterhin Terror geben, das ist klar, aber es braucht viel Zeit und neue Ressourcen, um solche Fähigkeiten zu entwickeln. Haniya, so wie auch Sinwar, war zweifellos einer der größten Terroristen. Mit einem geschätzten Vermögen von 2 Milliarden Dollar war er ein großer Unterstützer der Ereignisse vom 7. Oktober. 

Während er in Katar oder Iran in Wohlstand lebte, hatte sein Volk fast nicht zu essen, oft nicht einmal eine normale Wasserleitung gehabt. 

Er selbst ist für den Tod zahlreicher Israelis verantwortlich und die Tatsache, dass er bis heute überlebt hat, ist ein eindrucksvolles Zeugnis seiner Wichtigkeit für die andere Terrorführungen, die ihn gestützt und unterstützt haben. Am 20. Mai 2024 beantragte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, Karim Asad Ahmad Khan, einen Haftbefehl gegen Haniya im Rahmen der Ermittlungen des Strafgerichtshofs zu mehreren Fällen von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des aktuellen Krieges. Aber das ist nun schon Geschichte.