Kategorie: Yulis Tagebuch, Haifa

  • Yulis Tagebuch, Folge 48

    4 Sekunden

    Ich wollte eigentlich über die siebte Gefangenenbefreiung schreiben, aber ich fühle mich vollkommen lust- und energielos. Ich kann mich an keinen Tag erinnern, an dem ich nicht geweint habe, in der Dusche, im Bett, im Auto. Auch wenn ich an IHN denke, beginne ich zu weinen. Die einzige Freude ist mein Sohn, der mich immer zum Lachen bringt. Sein liebevolles Lachen geht einher mit meiner großen Sorge um ihn angesichts unserer Situation und es ist der größte Wunsch, dass er glücklich bleibt und dass ihn nichts, so wie mich, traurig machen kann. 

    Dieses Jahr hat mich viel Kraft gekostet, ich bin erschöpft und noch nichts ist vorbei, und es kann noch schlimmer werden. Heute bin ich gegen 3 Uhr morgens aufgewacht. Ich fühlte mich nicht wohl. Um 5 Uhr waren massive Schüsse aus dem Norden zu hören. Wiewohl ich keine Sirenen gehört habe, folgten schon bald in den Nachrichten die Aufforderungen, nicht zur Arbeit zu gehen sondern zu Hause zu bleiben. 

    Seit 5 Uhr, wissen wir nun, wurden mehr als 300 Raketen auf Israel abgefeuert, parallel dazu hat die israelische Luftwaffe tausende von Raketenwerfer der Hisbollah in Libanon attackiert. 300 Raketen auf ein Land, dessen Breite vom Meer bis zur Ostgrenze ganze 20 km beträgt.

    In den letzten Wochen ist viel mehr über die Lage im Norden als im Süden diskutiert worden, darüber, wie sich Israel auf einen großen Krieg im Norden vorbereiten soll. Denn die Hisbollah, wie Hamas, hat gleichfalls Tunnel gebaut, die bis nach Israel reichen, und dadurch können Zehntausende Terroristen Israel sehr einfach und schnell erreichen. In unseren Medien werden seit Monaten alle möglichen Katastrophenszenarien diskutiert, es wird spekuliert, wie es mit dem Land zu Ende gehen könnte. Aber ich kann so nicht leben, wirklich nicht.

    Und die Politik ist wie immer so enttäuschend, ich bin einfach sprachlos. Ich habe nicht die Lust, nicht einmal die Kraft, diesen ganzen Unsinn zu paraphrasieren und tiefgehende Interpretationen abzugeben. Manchmal muss man die Dinge so betrachten, wie sie sind. Die Entführten sind immer noch da, und scheinbar niemand auf der Welt interessiert sich wirklich für sie. 

    Es interessiert auch unseren Premierminister nicht, der sich mit Besessenheit an die Macht klammert. Mich befällt zuweilen das Gefühl, daß wir mit ihm alle auf der Titanic sind. Es gibt noch Abkommen, Iran lässt Israel angreifen, die Hisbollah feuert ununterbrochen. Der Endeffekt ist, wir werden im Regen stehen gelassen. 

    Aber auch im Rest der Welt herrscht kein Frieden. Andere Länder leiden auch unter Terror. In Österreich, wo die Konzerte von Taylor Swift wegen des Verdachts eines versuchten Daesh-Angriffs im Stadion abgesagt wurden. In Deutschland kam es gestern abend in Solingen während des Stadtfestes zu einer Messerattacke. Am Samstag meldeten die Medien einen versuchten Anschlag mit einer Autobombe vor einer Synagoge aus Frankreich.

    Terrorismus ist überall und er ist schrecklich. Der Unterschied besteht darin, dass in Israel solche Angriffe und Drohungen eine Routine sind. So leben wir. Und das hört scheinbar nie auf. In den  in den letzten Monaten forderten die meisten Redner im Europäischen Parlament oder im Europarat nicht etwa die Beseitigung des Terrorismus, sie plädierten vielmehr dafür, die Aktionen Israels. zu verurteilen oder drohten, die Waffenlieferungen nach Israel zu stoppen usw. All das gibt den Terroristen Legitimität, weiterhin gegen Israel zu agieren – und später auch gegen weitere westlichen Länder vorzugehen … 

    Aber wenn es in ihren eigenen Ländern zu einem Terroranschlag kommt, hat es keiner der Europaabgeordneten eilig, eine Rede über Menschenrechte zu halten, oder eine ganz klare Botschaft gegen den Terrorismus zu übermitteln. Danach kommen die üblichen Interpretationen. Die Motivation der Terroristen wird in den Medien psychologisch erklärt. Die Reporter bemühen sich, den Terroristen zu verstehen: Warum hat er es getan? Wo ist er aufgewachsen? Hat er in seinem Leben einen Misserfolg erlebt, der ihn zu dieser Tat veranlasste? Hat er sich nicht in die Gesellschaft integriert? 

    In der Politikwissenschaft und in der Terrorismusforschung ist die Erforschung von Handlungsmotiven legitim, und jede Erklärung kann auch von den Medien akzeptiert und diskutiert werden. Das steht außer Frage, aber die einfache Erklärung, daß die Person, die dies getan hat, einfach Menschen ermorden will, die nicht an Allah glauben und die für ihn Sünder sind, um die wird ein großer Bogen gemacht. Ihm, dem Täter, ist es egal, dass ihr ihm Arbeit oder einen Fluchtort, einen Lebensunterhalt oder eine Wohnung gegeben habt. Ihr seid trotzdem immer noch Sünder und sollt sterben. Das gehört zum Fanatismus und ist der Grundgedanke des  radikalen Islam. 

    In den Augen aufgeklärter Menschen ist das eine inakzeptable Erklärung und deshalb sind sie damit beschäftigt, Erklärungen und Verurteilungen abzugeben, die die Lage nicht verbessern und niemanden guttun. Tut mir leid, aber diese tiefe Philosophie gehört hier nicht her. 

    Ein Klopfen an der Zimmertür und: „Mama, weißt Du, wie lange es dauert, bis eine Granate explodiert? 4 Sekunden!“ – „Ja, wow, ich wusste es nicht.“ Ich schließe den Computer, es tut mir leid, ich gehe jetzt schlafen, ich kann heute nicht mehr reden. Und es geht mir wieder schlecht.

    Der Priester Zaccaria (Samuel Ramey) verspricht den in der babylonischen Gefangenschaft verzweifelten Juden, sie zu befreien. (Nabucco, Oper von Giuseppe Verdi)

  • Yulia Tagebuch, Folge 47

    Im Nin’alu

    Während ich auf die angekündigte Reaktion neuerlicher Angriffe an allen Fronten – oder vielleicht doch alternativ die Freilassung der Entführten? – warte, sehe ich im Fernsehen Filme von den zurückliegenden Gefangenen-Austauschen im November und Dezember des Vorjahres. Sie lösen die zwiespältigsten Gefühle aus – wir sind so macht- und hilflos,  abhängig von all dem, was in Doha entschieden wird … 

    Unter den damals Zurückgekehrten waren Maya und Itay Regev. Besonders an Maya wird man sich erinnern, die, auf Krücken gestützt, die ganze Hilflosigkeit verkörperte. Ihre Geschichte wurde erst Monate nach der
    Heimkehr, in der Rehabilitation erzählt. Maya und Itay Regev waren erst
    am 6. Oktober von einem Familienurlaub in Mexiko kommend in Israel
    angekommen. Die Geschwister fuhren direkt von Flughafen zum Musikfestival und trafen nur Stunden vor dem Überfall dort ein. Beiden
    wurde in die Beine geschossen, so daß ein Entkommen unmöglich war. Zusammen mit ihrem Freund Omer wurden sie in ein Auto gezwungen, das
    sie nach Gaza brachte. Dort brach Maya vor Schmerzen zusammen, bekam ein Medikament, was nicht half  und verlor immer mehr Blut. Schließlich ohnmächtig, wurde sie in ein Krankenhaus gebracht. Beim Aufwachen spürte sie, dass ihr Knöchel merkwürdig verbunden war – aber, sie lebte … 
    Heute, nach Monaten der Rehabilitation in Israel, kann Maya noch immer
    nicht auf ihren Füßen stehen. Dennoch ungeachtet dessen, kämpft sie mit aller Kraft für diejenigen, die noch immer in der Hand der Terroristen
    sind und tut, was in ihren Kräften steht, um die Entscheidungsfinder zu beeinflussen. Am 2. April sprach Maya in der Knesseth, um dort den Schrei all jener Mädchen und Jungen, die in der Gefangenschaft gequält werden, hörbar zu machen. 

    Im Film erzählt Maya von den Methoden der Terroristen, ihr Schmerzen
    zuzufügen: „Manchmal nahmen sie Chlor, Alkohol oder Apfelessig und pressten diese Flüssigkeiten in die Schußwunden“. Um sie ruhigzustellen, gab man ihr intravenös Ketamin oder Pethidin. Schon bald bildete sich im Bein Osteomyelitis. Die Rehabilitation hier ist anstrengend, hart und schon manchmal hat Maya Amputationen erwogen, weil sie die Behandlungen ungeheuer anstrengen und erschöpfen. Vielleicht, so der Gedanke, geht es mit einer Prothese leichter …
    In einer späteren Aktion wurde Mayas achtzehnjähriger Bruder Itai
    endlich freigelassen, gemeinsam mit fünf Kindern und sieben Frauen. Und für zwei Entführte russischer Herkunft, wohl eine Konzession an Wladimir Putin, ging die Zeit als Geiseln zu Ende. In jenem Moment kehrten auch
    Menschen zurück, die in der Gefangenschaft von ihren Angehörigen getrennt worden waren. Etwa Raya Rotem (54), die lange zusammen mit
    ihrer Tochter festgehalten wurde. Zwei Tage vor der Freilassung ihrer Tochter Hila verlor sie die Verbindung zu ihr. Nun kehrte auch die Mutter nachhause zurück.

    Raz Ben-Ami (47) war nachts, im Pyjama, gemeinsam mit ihrem Mann entführt worden. Sie leidet an Krebs, befindet sich in einem schwierigen
    geistigen und körperlichen Zustand. Ihre Rettung aus den Händen der Terroristen ist umso wichtiger, da sie in dieser Zeit weder die notwendige medizinische Behandlungen noch Linderung aller damit verbundenen Schmerzen erfahren hat. Yarden Roman-Gat aus Be’eri (36) war gemeinsam mit ihrem Mann und dem
    Baby entführt worden. Kurz vor Gaza gelang dem Vater mit dem Kind auf dem Arm die Flucht. Jetzt kehrte auch Yarden zurück. Liat Beinin- Atzili
    (49), eine gebürtige Amerikanerin und heute Leiterin in Yad Vashem, lebt im Kibbutz Nir-Oz. Ihr Mann ist am 7. Oktober ermordet worden. 

    Ariel Bibas verbrachte seinen 5. Geburtstag in den Händen der Hamas (Quelle: Comunideades Plus)

    Von einem ähnlichen Schicksal wie jenem von Maya und Itay Regev ist hier
    zu berichten: Auch Moran Stella Yanai (40) befand sich noch am 6. Oktober 2023 im Urlaub in Thailand. Sie fuhr am 7. Oktober zum Festival und wurde verschleppt, genau wie Liam Or (18), der im Kibbuz Re’im lebt. 

    Er ist der Cousin von Alma und Noam Or, die gleichfalls entführt waren
    und inzwischen zurückgekehrt sind. Der 17 Jahre alte Ofir Engel, dessen Heimat der Kibbuz Ramat Rachel ist, wurde aus Be’eri verschleppt, wo er
    gemeinsam mit seiner Freundin Yuval die Feiertage verbrachte. Auch Yuvals Vater befindet sich noch heute in den Händen der Terroristen, ebenso wie Amit Shani (16) und Gali Tarshansky (13) aus Be’eri. Gali hatte sich zu Hause mit ihrem Bruder im Sicherheitsraum versteckt. 

    Während Terroristen versuchten, dessen Tür aufzubrechen, flüchteten
    beide durch das Fenster und trennten sich auf der Flucht. Lior wurde ermordet, Gali nach Gaza entführt. 

    Besonders erwähnenswert in diesen Tagen ist: Erneut sind zwei Frauen,
    die die russische Staatsbürgerschaft besitzen, in die Freiheit entlassen worden: Irina Tetti (73) und ihre Tochter Yelena Trufanova (50). Die gesamte Familie war im Kibbuz Nir-Oz zu Hause. Irenas Mann Vitali war
    noch am 7. Oktober ermordet worden, der Sohn Sasha ist unverändert in den Händen der Terroristen. 

    Nicht alle, die die schreckliche Zeit in Gaza überlebt haben und zurückkehren durften, möchten über das Erlebte sprechen, manche von ihnen sind auch gebrochen und nicht mehr wirklich auskunftsfähig. Es
    bestätigt sich erneut, das manchen Menschen das Erzählen über die zurückliegenden Geschehnisse deren Bewältigung erleichtert oder auch nur
    zu ermöglichen beginnt, aber andere dies nicht vermögen, insbesondere jene, deren Verwandte oder Freunde getötet wurden, sich in Gefangenschaft befinden, die ihr niedergebranntes Haus sehen müssen oder den verwüsteten Kibbuz.

    Solch Trauma nach einer Zeit in der Gewalt von Terroristen bringt ihre
    gesamte Welt zum Einsturz und sie bedürfen dringend der Hilfe. Aber viele Familien in Israel klagen, daß diese Hilfe und Unterstützung
    unzureichend ist und dringend der Intensivierung bedarf. In solcher Situation geht das israelische Parlament für drei Monate – drei Monate –
    in die Ferien. Das macht mich sprachlos. 

    Am 28. November 2023, kurz vor dem sechsten Mal der Rückkehr von einigen
    Geiseln, veröffentlichte der israelische DJ Skazi einen emotional aufwühlenden Film auf seinem Facebook-Konto. Er war nach Re’im gefahren, jenem Ort, an dem das Nova-Festival stattgefunden hatte. Auf dem Feld um ihn herum waren viele Bilder von Ermordeten des Terrors gruppiert, und er ging still zum Pult und legte für sie auf.
    Der Gesang von Ofra Haza  Im Nin’alu  geht zu Herzen, es heißt hier: 

    Wenn es keine Gnade mehr auf der Welt gibt, die Türen des Himmels werden niemals verschlossen sein. Der Schöpfer herrscht über alles und ist höher als die Engel, alle werden in seinem Geist auferstehen!“ 

    Glaubt mir, Ihr müsst dieses Video sehen!

  • Yulis Tagebuch, Folge 46

    Samstag wie in der Schweiz

    Fragen Sie sich vielleicht, ob ich heute noch dieselben Angstsymptome habe wie am 7. Oktober? Die Antwort ist zunächst ganz einfach: Nein, die habe ich nicht. 

    Doch Angst ist unser ständiger Begleiter, nur fühlt sie sich jetzt anders an. Die Erklärung dafür ist einfach: Ein Raketenangriff aus dem Norden oder aus dem Süden ist – leider – eine Routinesache, sie löst daher keine so starken Empfindungen von Angst aus wie der 7. Oktober 2023. Das physische Eindringen eines Fremden in die Nachbarschaft, in das eigene Haus, den für jedermann intimsten Ort, die barbarischen, abscheulichen Gräueltaten der Morde und Massaker, die keinen Präzedenzfall hatten, das sind unvergleichliche Geschehnisse, die in uns nisten.

    Dagegen sind Einschläge von Raketen nicht Neues. Wir haben es seit Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre immer wieder erlebt, und damals waren wir ziemlich wehrlos. Keine Schutzräume und ohne Iron-Dome, oder so etwas ähnliches. Damals saßen wir zu Hause mit der Gasmaske in Griffnähe und haben gewartet, einfach gewartet. 

    Heute ist übrigens Tischa beAv, ein Tag der Trauer und des Fastens. Der Tag ist eigentlich der Abschluss dreiwöchiger Trauer zur Erinnerung an die Zerstörung des Tempels. Aber es geht um viel Tieferes, als nur darum. Es geht vor allem um die Beziehung zwischen den Menschen. Tischa beAv erinnert uns und will mahnen, bessere Menschen miteinander zu sein. Ich faste nicht, aber es gibt ganz viele, die das doch machen, wie mein Vater zum Beispiel, der schon in der Syngoge ist. Das Fasten hat gerade begonnen und endet morgen Abend.

    Also, die Theorie war, der Angriff würde wahrscheinlich heute, am heiligen Tag, beginnen. So warten wir. Aber am letzten Wochenende habe ich nicht gewartet, wir waren in Haifa. Die Terroristen wünschen sich zweifellos, daß wir nichts mehr unternehmen, daß wir vor Angst zu Hause bleiben und uns ängstlich so weit als möglich zurückziehen. Aber, wir erziehen hier dennoch unsere Kinder, sie schauen uns an und beobachten unsere Reaktionen. Wenn wir ihnen nur Angst und Unsicherheit vermitteln würden, wenn sie fühlen würden, daß wir unsicher und mutlos sind, wir leben jetzt fast ein Jahr im Krieg, dann würden wir genau solche verunsicherten Menschen großziehen. Meine Schwägerin und ich hatten entschieden, am Samstag mit den Kindern für die Geburtstagsfeier unserer Verwandten nach Haifa zu fahren. Ja, ich hatte trotzdem Angst, aber ich habe es nicht gezeigt und versucht, immer positiv zu denken.  

    Spielende Kinder (Foto privat)

    Es gab viele Momente auf der Autobahn, da war außer uns kein einziges Fahrzeug unterwegs. In diesen Momenten konnte auch die angenehme Musik im Auto die Anspannung nicht mindern. Nach 70 Minuten kamen wir endlich an. Die Kinder hatten Spaß im Pool, sprangen auf dem Trampolin, spielten im Holzhaus im Garten und versteckten sich. Nachdem wir im  Garten gegrillt haben und alles gegessen hatten, bekamen die Kinder noch viele Süßigkeiten und ein Stück Geburtstagskuchen bekamen sie am Ende natürlich auch noch. Am Abend sind wir zurückgefahren. Auf der Fahrt schlief mein Sohn schon ein und ich habe ihn schlafend ins Bett getragen.

    Wir feierten einen Schabbat, als ob wir nicht in einem Krieg leben. Es war ein ganz normales Wochenende, wie bei gewöhnlichen Menschen, die in Norwegen oder in der Schweiz leben. Ein Schabbat der unbeschwerten Menschen. Die Kinder waren glücklich, die Erwachsenen ebenso. Es war wunderbar. Und Israel hat am Samstag sogar noch die 7. Medaille bei den Olympischen Spielen gewonnen. Es war wirklich wunderbar! Ein echt fröhlicher Tag. 

    Und ich frage mich: Wie kommt es, dass ich inmitten all dieses  Wahnsinns plötzlich Lust auf noch ein Kind habe? Macht es Sinn?

  • Yulis Tagebuch, Folge 45

    Psychologischer Terror

    Ich erlebe gerade eine Art psychologischen Terrors von allen Seiten. Beginnen wir aber mit ein wenig Humor, denn ein ganzer Monat mit einem Kind zu Hause verursacht ziemlich viel mentalen und emotionalen Streß, besonders wenn es in Zeiten eines Kriegs in den Sommerferien geschieht. Ich kann kaum arbeiten oder einen Moment der Ruhe für mich selbst haben. Außerdem gehe ich durch psychologischen Terror, hervorgerufen durch die israelische Regierung. Sie hat schon seit langem das Abkommen, um alle Entführten aus Gaza herauszuholen, aus irgendwelchen unklaren Gründen nicht abgeschlossen. Kürzlich, inmitten des Krieges, hat sich ohne Scham das Israelische Parlament in eine Sommerpause verabschiedet. 120 Parlamentsmitglieder nehmen drei Monate Urlaub, während 120 Entführte in Gaza seit 10 Monaten darauf warten, nach Hause zurückzukehren. Doch damit nicht genug – als Psychoterror empfinde ich, daß Präsident Biden mehrmals über die Möglichkeit gesprochen hat, dass „ein totaler Krieg ausbrechen könnte“. Warum sollen wir uns noch Schlimmeres als die vorhandene Realität vorstellen? Dann drohte der Iran nach dem Anschlag an Haniya mit einem Angriff und seit zwei Wochen warten wir darauf. Wir änderten Pläne, verließen selten das Haus und liefen in einer totalen Unsicherheit umher und all das macht uns ziemlich nervös. Das iranische Regime überlegt offensichtlich noch die Steigerung Intensität seiner Reaktion, was für ein großes Dilemma! Von der Hisbollah, die versprach, die Ermordung von Fuad Shukri, einem der Spitzenbeamten, zu rächen, hörte man, daß sie diesmal auch angreifen würde. Ich habe keinen Zweifel an ihren Fähigkeiten dazu und das bedeutet für uns vor allem, einen Angriff direkt über unsere Köpfe hinweg, bevor die Raketen Tel Aviv erreichen. Psychologischer Terror auch von der Hamas, welche nach der Eliminierung von Haniya nicht mehr so hartnäckig zu einem Abkommen als Gegenleistung für einen Waffenstillstand bereit ist, aber weiterhin Raketen abfeuert und weiter aus dem Westjordanland und im Libanon Terroranschläge verübt. Nachdem Sinwar Haniyas Position erbte, strebt er danach, politische Legitimität weltweit zu erlangen und sich offiziell vom Terroristen zum Freiheitskämpfer zu verwandeln. Daher hat er ein persönliches Interesse an einem Waffenstillstand, ebenso wie Bibi ein persönliches Interesse daran hat, dass es nicht zu einem Waffenstillstand kommt. Am wichtigsten auf alle Fälle ist also, zunächst die Entführten zurückzubringen. Danach müssen wir dafür sorgen, dass die Hamas-Organisation beseitigt wird und die internationale Gemeinschaft die Verantwortung für Gaza übernimmt oder Gaza der Palästinensischen Autonomiebehörde übertragen wird. Denn 17 Jahre lang regierte Hamas, und hat endlos Geld bekommen. Das Geld hat die Organisation nur in die Infrastruktur des Terrors investiert. Nach all den Kämpfen in Gaza und der großen Zahl gesprengter Tunnel gibt es in Gaza immer noch viele bisher unentdeckte Tunnel. Kürzlich wurde ein Tunnel mit einer Breite und einer Höhe von 3 Metern entdeckt, den große Fahrzeuge gut passieren können. Auch wurden noch Tunnel entdeckt, die die Grenze unterqueren. Diese Fahrzeuge und Tunnel sind nicht dafür gebaut, um Orangen an die Bewohner von Gaza zu liefern, das versichere ich Euch.

    Tunnel von 3,00 m Breite und Höhe unter der Grenze zu Ägypten verlaufend
    (Foto Social Media)

    In Bezug auf die Ereignisse in der Schule wurden laut Hamas-Bericht 100 Menschen getötet. („Israels Armee habe die als Vertriebenen-Unterkunft genutzte Schule während des muslimischen Gebets am frühen Morgen angegriffen, teilte das von der Hamas kontrollierte Medienbüro mit.” FAZ, 10. August, 2024). Zunächst es ist einmal schön, daß eine Terrororganisation zum offiziellen Informationsanbieter in der westlichen Welt geworden ist. Es zeigt, daß wir uns „gehirnmäßig“ wohl um 100 Jahre zurückbewegt haben. Zweitens, Israel hat ein Problem: Es gibt keinen offiziellen Presse-Sprecher für Israel. Die einzige Person, die an die Öffentlichkeit Information überträgt, ist ein offizieller Sprecher der Armee (übrigens genauso wie während des Golfkriegs. Habe ich nicht gesagt, daß wir gehirnmäßig einen Rückschritt machen?) Der Premierminister lebt hauptsächlich für sich selbst und wir sind Gefangene dieser Dummheit. Der Rest der Welt beschäftigt sich mit der Überschrift „Unschuldige töten“, anstatt sich auf die Tatsache zu konzentrieren, daß sich Dutzende von Hamas-Aktivisten in diesem Gebäude unter Zivilisten versteckt haben (was machen 30- und 40jährige Männer in der Schule?), um für ahnungslose Menschen die Bedeutung von „menschlicher Schutzschilde“ zu erklären. Eine andere Sache ist, daß es viele „Unschuldige“ gibt, die keine Waffen in der Hand haben, aber auf die Straße gegangen sind, um die Körper von Israelis zu misshandeln, wie in dem schrecklichen Video, in dem man sieht, wie sie den Körper von Eitan Levy verstümmeln. „Unschuldige“ Bürger verstecken nicht Terroristen und nehmen Geiseln. Es gibt viele solcher „Unschuldigen“. Und ich bin sicher, daß die meisten Leute, die mit hochrangigen Hamas-Mitgliedern im Schulgebäude waren, nicht dorthin kamen, um Englisch zu lernen. Diese Schule wurde im Krieg zu einer militärischen Einrichtung gewandelt. Es war ein Waffenlager und eine Kontrollzentrale von Hamas, und da steckten eine Menge von Terroristen.

    Und das letzte – psychologische Terror durch IHN, denn ER hat auf meine Nachricht gar nicht reagiert!

    .

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  • Yulis Tagebuch, Folge 44

    Der Weltkrieg (Die Mini-Version)

    Im Moment der seit dem 7. Oktober 2023 im Nahen Osten gefährlichsten Eskalation der Situation mit unabsehbaren Folgen erreicht uns dieses bedrückende Stimmungsbild – wir möchten es weiterreichen mit dem Wunsch, in unserer Solidarität mit dem israelischen Volk und der Forderung, alles zu tun, um einen dauerhaften Frieden zu gewinnen, nicht nachzulassen. 

    Den Freitagabend verbringen die meisten Israelis traditionell zu Hause, vor allem im Kreise der Familie, aber auch gern mit Freunden. Gemessen an den weiteren Wochentagen herrscht am Freitag stets eine etwas andere, durchaus festlich anmutende Stimmung. Der Duft des leckeren Essens trägt dazu bei, die Sauberkeit und Ordnung überall im Haus, der volle Kühlschrank für die gemeinsamen Mahlzeiten und auch die gefüllte Shopping-Tüte. 

    Egal, ob die Israelis in die Synagoge gehen oder zu Hause beten, vielleicht auch gar nicht beten möchten – die allgemeine Atmosphäre ist sehr warm. Und abends herrscht Stille auf der Straße, eine Stille, die zu Frieden, Liebe und Zusammengehörigkeitsgefühl einlädt. 

    Hamas-Führer Ismail Hanija mit Hassan Nasrallah (AFPPhoto/HG/HEZBOLLAH’S AL-MANAR TV)

    Aber an diesem Freitag herrschte vor allem Angst in mir. Es war bestimmt bei allen so. Gäste wurden nicht eingeladen. Zwischen den glücklichen Momenten angesichts des Erfolgs und den Medaillen bei den Olympischen Spielen und dabei die israelische Fahne ohne palästinensische Demonstranten im Hintergrund zu sehen, habe ich die meiste Zeit über die Angriffe aus dem Iran, von den Huthis, von der Hisbollah, aus dem Libanon und Irak gelesen. 

    Wie lebt man in dieser Realität? Ich weiß es nicht, fragt jemand anderen, denn es ist im Augenblick zu viel für mich. 25.000 Israelis sind, hört man, im Ausland, die keine Flüge mehr bekommen, um nach Hause zurückzukehren. Und ich denke da an eine Mutter, oder einen Vater, Paare oder Freunde, die sich so sehr wünschen, zusammen zu sein. Die Kinder meiner Freundin sollten ihren Vater in Italien treffen. Denn er bleibt dort und sie bleiben hier. Es gibt kein Hinausgehen und kein Kommen. Alle Fluggesellschaften haben ihre Flüge von und nach Israel gestrichen. Atmosphäre des Krieges, wieder einmal. 

    Ich wollte eigentlich über die sechste Runde der Geiselentlassung schreiben. Also verzeiht mir, aber es ist mir gerade unmöglich, über vergangene Ereignisse zu schreiben, denn ich warte auf den brutalen Angriff auf Israel. Was bald bei uns passieren wird, beschäftigt mich gerade vollkommen. Ich höre bereits die Sirenen in meinen Ohren und spüre sie im ganzen Körper, sogar bevor sie zu heulen begonnen haben. Um zu entspannen, esse ich öfter. Ich verbrachte den größten Teil des Tages vor dem offenen Kühlschrank. 

    Außerdem habe ich IHM auch eine Nachricht geschickt. Ich habe geschrieben, dass ich ihn schon lange sehr vermisse. Ob das ein Fehler war oder nicht, ist mir egal. Das sind Kleinigkeiten. Ich bin  endlich erleichtert und das ist am wichtigsten. Ich wollte es nur aus meinem Magen bekommen, weil es mir weh tat. 

    Bevor das Chaos begann, sollten wir am Wochenende zum 7. Geburtstag unserer jungen Verwandten Annabel in Richtung Haifa fahren. Mein Sohn freute sich schon auf das Fest mit Baden im Gartenpool und allen möglichen Spielen. Aber am frühen Freitagmorgen riefen ihre Eltern an, um Bescheid gegeben, dass alles  verschoben wird. Das hat mich nicht überrascht, denn niemand weiß, wann und was passiert, und auch eine Reise ist momentan nicht sicher.

    Ich weiß nicht, ob das etwas mit seiner Enttäuschung zu tun hat, ein paar Stunden später bekam er Fieber und Halsschmerzen. Ich habe ihn zur Notfallpraxis bringen müssen. In Israel schließen die meisten Geschäfte freitags, mit Ausnahme von Restaurants, Tankstellen und ein paar Supermärkten um etwa 14.00 Uhr. Es gibt Sonderdienste, Notzentralen usw., die am ganzen Wochenende zu einem günstigen Preis arbeiten. Also, dieser Freitag fühlte sich an wie ein Notfall aus allen Richtungen. 

    All das passiert quasi in Folge des Anschlags gegen Ismail Haniya, den Anführer der terroristischen  Organisation Hamas. Ob ich der Meinung bin, dass der Tod von Ismail Haniya uns hilft?Was das Geisel-Abkommen angeht, hoffentlich. Wird der psychologische Druck, den Israel erzeugt hat, die Terroristen tatsächlich dazu zu bringen, das Geisel-Abkommen zu befolgen? Die meisten Stimmen behaupten, dass es den gegenteiligen Effekt hervorrufen wird. Ich weiß nicht, vermag auch nicht einzuschätzen, was in der Praxis passieren wird. 

    Ich weiß nur, dass man das Dreieck Hamas-Hisbollah-Iran destabilisieren und ihm Schaden zufügen muss. Die Beseitigung der terroristischen Führung auf diesem oder einem anderen Weg ist unumgänglich, Millionen von Zivilisten leiden unter ihr – in Gaza, im Iran, im Libanon und in Israel. 

    Außerdem muss der Geldstrom an die Terroristen gestoppt werden, denn wenn es niemanden gibt, der die Organisation finanziert, wird die Organisation auseinanderfallen. Natürlich wird es auch weiterhin Terror geben, das ist klar, aber es braucht viel Zeit und neue Ressourcen, um solche Fähigkeiten zu entwickeln. Haniya, so wie auch Sinwar, war zweifellos einer der größten Terroristen. Mit einem geschätzten Vermögen von 2 Milliarden Dollar war er ein großer Unterstützer der Ereignisse vom 7. Oktober. 

    Während er in Katar oder Iran in Wohlstand lebte, hatte sein Volk fast nicht zu essen, oft nicht einmal eine normale Wasserleitung gehabt. 

    Er selbst ist für den Tod zahlreicher Israelis verantwortlich und die Tatsache, dass er bis heute überlebt hat, ist ein eindrucksvolles Zeugnis seiner Wichtigkeit für die andere Terrorführungen, die ihn gestützt und unterstützt haben. Am 20. Mai 2024 beantragte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, Karim Asad Ahmad Khan, einen Haftbefehl gegen Haniya im Rahmen der Ermittlungen des Strafgerichtshofs zu mehreren Fällen von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des aktuellen Krieges. Aber das ist nun schon Geschichte.

  • Yulis Tagebuch, Folge 43

    Schäm Dich!

    (für die Kinder von Maidal Shams)

    In dieser Folge geht es um Netanyahus Rede am vergangenen Mittwoch, den 25. Juli 2024. Die Rede, die er im Kongress sie Vereinigten Staaten von Amerika hielt, erhielt vor allem von Anhängern der Republikanischen Partei viel Applaus. Um den Kongresssaal zu füllen, wurden große Tische aufgestellt, damit der Saal nicht leer aussah, weil viele Mitglieder der Demokratischen Partei abwesend waren. Und bevor ich meine Kritik an Netanyahu übe, möchte ich darauf hinweisen, dass die Abwesenheit der Demokraten dennoch unangemessen war. 

    Foto: Kan11, online 29.07.2024

    Ich vermute, dass die meisten von Euch Netanyahu nicht mögen, ich auch nicht. Und ich verstehe, dass die Demokraten ihre Wähler, die letztens „From the River to the Sea“ gerufen haben, in der kommenden Wahl nicht verlieren wollen. Aber als politischer Standpunkt und als Symbol für die Demokratie in einer Zeit des Krieges gegen den internationalen Terrorismus ist das einfach falsch. Weiterhin, die Demokraten und vor allem Kamala Harris, hätten anwesend sein müssen, für Noa Argamanidie, die im Saal saß. Über acht Monate war sie in der Gefangenschaft, ihr Partner ist immer noch dort und ihre Freunde wurden auf dem Nova Festival ermordet. Sie hätten anwesend sein müssen, um Solidarität und Unterstützung vor allem mit den Opfern und mit denen, die noch dort sind –  Frauen, Kinder, Babys – auszudrücken. Denn es gibt eine Botschaft, die nichts mit Netanyahu zu tun hat: die Unterstützung für Freiheit, Demokratie und Frieden. Selbst wenn Kamala Harris gewählt würde, wird sie bestimmt Israel genauso unterstützen wie Biden. Im Nahen Osten kommt man ohne Freunde nicht aus, und Israel braucht sie ebenfalls. 

    Damit zurück zu Netanyahu. Er hielt die Rede um 14 Uhr nachmittags in Washington, in Israel war es bereits 22 Uhr. Er richtete die Rede nicht an uns Israelis, sondern sein Ziel war es, die Unterstützung und die Sympathie der Amerikaner zu gewinnen. Und es stimmt, dass die Rede viel Applaus erhielt, sowohl von rechts als auch von links, aber die Unverschämtheit, für sich Politik zu machen, während Israel im Krieg ist, ist unverzeihlich.

    In Israel tritt Netanyahu kaum in den Fernsehsendern auf. Wie Putin wird er nicht interviewt, wahrscheinlich weil er keine Antworten hat. Er weiß, daß er schuldig ist. Und er ist sich bewusst, weder er noch seine Politik interessieren jemand, jedoch macht sie uns gleichzeitig Sorgen. Die Entführten und die Opfer des Krieges, diejenigen, die seit fast einem Jahr aus ihren Häusern evakuiert wurden, sie sind eine Randerscheinung für ihn. Und deshalb hat er hier kein Publikum und keine Zuhörer und er ist deshalb in die USA gegangen. Aber zu den Entführten sagte er nichts.

    Foto: 25.0.2024, AP Julia Nikhinson, Kan 11

    Noa Argamani (war Geisel der Hamas und wurde am 8. Juni 2024 befreit) kam mit Netanyahu zusammen in die USA um ein Abkommen zu fordern und auch um ihre Unterstützung für Netanyahu der Welt zu zeigen. Dies geschah auf seine Bitte hin. Die Tochter eines Israelis und einer Chinesin wurde damit zum zweiten Mal Opfer des Versagens Netanyahus. 

    Zudem fand ich die Verwendung der eingängigen Worte der Deradikalisierung und Entmilitarisierung und den Bezug auf Deutschland 1945 im Kontext des Gaza-Krieges falsch und schlecht. Ich weiß es noch, daß Deutschland zehn Jahre später der NATO beitrat und wieder zu einer Waffenmacht geworden ist. Weiter versprach er einen Iran ohne Kernwaffen und verkündete: „Wir haben Hamas unterworfen.“ Das weckt erhebliche Zweifel, ob Netanyahu die Realität wirklich wahrnimmt. 

    Netanyahu sollte einfach aufhören mit dem, was er gerade tut und die Verantwortung an jemand anderen übergeben. Und Ihr, amerikanische Freunde, hört auf, ihn kommen zu lassen, um bei Euch eine Rede zu halten. Das ist einfach lächerlich und löst sowohl bei Euch, 

     als auch bei uns Ablehnung aus. Netanyahu vertritt Israel nicht, er hat das Land 17 Jahre lang im Stich gelassen, solche Veranstaltungen berauben uns der Möglichkeit, einen würdigen Führer zu finden.

  • Yulis Tagebuch, Folge 42

    Fünfte Runde

    Zeitung: In Amsterdam wird ein Tisch für die Entführten vorbereitet

    Zehn Frauen im Alter zwischen 18 und 84 Jahren sind seit heute Abend frei und kehren nach Hause zurück. Mit ihnen entlässt Hamas auch zwei thailändische Staatsbürger. Auch sie werden vor ihrer Rückkehr nach Thailand im Krankenhaus in Israel untersucht und medizinisch behandelt. Ihre Namen sind Patayanot Tunsakari und Awat Suriyasi. Entlassen aus der Geiselhaft sind auch Mia Lemberg (18) mit ihrer Mutter Gabriela (59) und ihrer Tante Clara (63) aus dem Kibbuz Nir-Yitzhak. 

    Am 7. Oktober empfingen die Tante Clara Marman mit ihrem Partner Louis Herr ihre Schwester Gabriela Lemberg, deren Tochter Mia und ihren Bruder Fernando Marman zum Feiertag. Und dann sind alle fünf Familienmitglieder aus dem Kibbuz in den Gazastreifen entführt worden. Drei von ihnen durften nun zurückkehren. Die Familie Marman ist aus Argentinien nach Israel eingewandert. Clara, von Beruf Kindergärtnerin, kümmerte sich 30 Jahre lang um alle Kinder des Kibbuz. 

    Auch die 78jährige Tamar Metzger, die gemeinsam mit ihrem Mann in die Hände der Hamas fiel, kehrt heute zurück, er dagegen muss in Gefangenschaft bleiben. 

    Ebenfalls entführt waren die 75jährige Ada Sagi aus Nir-Oz und Merav Tal (54), die aus Rishon-Le Zion nach Nir-Oz gekommen war, um gemeinsam ihrem Partner den Feiertag zu feiern, sie beide wurden heute freigelassen, aber ihre Partner sind noch immer in Gefangenschaft. 

    Foo. Kredit

    Auch Norlin Agujo (60), die von den Philippinen stammt und in Yehud-Monosson lebt, besuchte ihren Partner zu den Feiertagen und geriet in die Hände der Entführer. Sie wurde nach 52 Tagen freigelassen, ihren Partner dagegen hat man getötet. 

    Rimon Kirsht Buchstab (36) wurde ebenfalls mit ihrem Mann aus ihrem Haus in Nirim entführt, sie kehrt heute zurück, während ihr Mann weiter in Gaza festgehalten wird. 

    Die 77jährige Ophelia Rothman, die aus Nahal-Oz entführt wurde, und die 84jährige Ditza Heyman aus Nir-Oz kehren nach Hause zurück. Ditza ist eine der Gründerinnen des Kibbuz und kümmerte sich jahrelang um die Babys von Nir-Oz. Sie war am 7. Oktober allein zu Haus in Nir-Oz. Ihre Tochter Neta rief an diesem Morgen an, doch da war Ditza nicht mehr erreichbar. Am Nachmittag dieses Tages versuchten ihre Kinder erneut, sie anzurufen. An das Telefon ging ein Terrorist, der auf Englisch sagte: „Es ist Hamas, es ist Hamas.“ Ein paar Tage später sahen die Kinder ihre 84jährige Mutter in einem Video im Auto auf dem Weg nach Gaza.

    Als Mia Lemberg aus dem Fahrzeug des Roten Kreuzes stieg, hielt sie ihren kleinen Hund in der Hand. In dem Moment dachte ich, dass das nicht wahr sein könnte. Nachdem die Terroristen in den Kibbuzim so viele Hunde ermordet, Hunderte von Kühen erschossen, Pferde gestohlen hatten. Es war für mich sehr überraschend, lebende Menschen zurückkommen zu sehen und jetzt sogar einen Hund! Es hatte etwas Surreales an sich, Mia zu sehen, sie im Schlafanzug, von maskierten Terroristen umgeben einen kleinen weißen Hund in der Hand haltend. Allerdings schien sie selbstbewusster und stärker zu sein als alle, die bisher entlassen sind. Ich vermute, dass es etwas Tröstliches und Therapeutisches war, mit dem vertrauten Hund gemeinsam in Gefangenschaft zu sein. Das hat sie sicher stärker gemacht. 

    Foto: Kredit arabisches Netzwerk Mia Lemberg und der Hund

    In jeder Runde kehren auch ausländische Staatsbürger zurück bzw. Gefangene, die die doppelte Staatsbürgerschaft besitzen. Einige von ihnen leben dauerhaft in Israel und besitzen deshalb die israelische Staatsbürgerschaft, manche kamen hierher, um eine bestimmte Zeit zu arbeiten und mit dem Verdienst ihre Familien in ihrer Heimat zu unterstützen. Schließlich sind unter den Entführten auch Menschen, die lediglich ein kurzer Besuch nach Israel führte. Thailänder, Argentinier, Russen, Deutsche, Amerikaner, Niederländer, Chinesen, Südafrikaner, Araber und viele andere. Wer noch nie in Israel war, kennt nicht die Vielfalt dieses Landes, weiss nicht, wie intensiv solche Vielfalt dieses Land prägt. Die Einwanderer, die verschiedenen Religionen, die unterschiedlichen Farben, die differierenden sexuellen Neigungen bestehen zu jedem Zeitpunkt, treffen aufeinander und hinderten uns nicht, friedlich zusammenzuleben.

    Und das ist es, was den Staat Israel auszeichnet, der wie ein Mikrokosmos der Welt ist. Das Schöne ist, dass jeder das Gefühl hat, hierher zu gehören, unabhängig von seiner Religion oder seinem Herkunftsland. Daher können nur diejenigen, die nie in Israel waren, soviel Hass gegenüber Israel oder den Juden empfinden und denken, dass uns das Leid der Anderen egal ist. Doch der Andere lebt zu jedem Zeitpunkt in uns, er ist ein untrennbarer Teil dessen, was wir sind. 

    Die Entführten haben die Grenze überschritten, sie sind jetzt wieder zu Hause. Was für eine Freude. Morgen erwarten wir eine sechste Runde.

  • Yulis Tagebuch, Folge 41

    Vogue

    Der November ist nun bald zu Ende, Chanukka steht vor der Tür. Aber das Lichterfest schien noch nie so weit entfernt wie jetzt und wir werden wahrscheinlich noch lange im Dunkeln tappen. 

    Ich schalte das Licht im Bad an und schaue mich im Spiegel ganz intensiv an. Die Haut ist in meinem Alter nicht mehr so straff und flexibel wie früher. Manchmal will ich Hyaluronsäure ins ganze Gesicht spritzen und eine hochwertige und luxuriöse Gesichtsbehandlung machen, ganz, wie es die Promis tun. Allerdings habe ich nicht das Geld dafür und, um ehrlich zu sein, ich habe noch nicht einmal den Mut, damit anzufangen. Vielleicht werde ich es eines Tages machen, wenn ich es doch wichtig und nötig finde.  

    Graues Haar, das ziemlich früh aufgetreten ist, hat sich längst überall ausgebreitet. Hmm … es wurde mir gerade klar, dass ich etwas tun muss, denn ich sehe irgendwie etwas vernachlässigt aus.

    Um viertel nach Fünf kamen wir vom Krav Maga nach Hause zurück und um halb Fünf traf auch meine Mutter ein, so dass ich die Gelegenheit hatte, alleine rauszugehen. Auf dem Weg zum Auto rief ich meine Freundin Natalie an, die mir den Namen eines guten Friseurs in der Gegend nannte, also fuhr ich los. Die Autofahrt mit guter Musik hat mich schon in bessere Momente zurückversetzt. Aber bei dem Gedanken an etwas Pflege fühlte ich mich nun noch besser. Ich kam recht schnell an, aber die Parkplatzsuche entmutigte mich. Da die Menschen jetzt mehr Zeit zu Hause verbringen, sind die Parkplätze meist voll. Passend zu meinem allgemeinen Gefühl, habe ich mich nach 15 Minuten Suche mit meinem schwarzen und staubigen Auto zwischen zwei sehr saubere und neue Autos schieben können, irgendwie gelang es mir auch noch, auszusteigen.

    Die Friseurin stand mit einer Vogue-Zigarette zwischen den Lippen da als ich eintrat und sprach mit einer Kundin. Da ich schon lange niemanden mehr in einem geschlossenen Raum rauchen sah, schon gar nicht in einem Friseursalon, bin ich für einen Augenblick in die Neunziger gereist. Ich wollte plötzlich weg, aber dann drehte sie sich zu mir um und fragte: „Was brauchst Du?“ worauf ich erwiderte „Ich möchte den Ansatz färben lassen“. „Heute geht es nicht mehr, sorry. Seit dem Krieg schließe ich nicht mehr so spät wie zuvor, meine Mitarbeiterinnen gingen schon um 16.00 Uhr nach Hause. Komm morgen früh halb Neun.“ Bevor ich überhaupt etwas überlegen konnte, sagte ich ihr: „Okay, danke!“ und ging wieder.

    Ihre Antwort brachte mich von meiner kurzen Beschäftigung mit meinem Aussehen zurück in die schmerzhafte Realität. Es wurde mir deutlich, dass Angst jeden und alle Teile der Realität durchdringt und dass Unruhe überhand nimmt, selbst dann, wenn man versucht, ihr zu entkommen. Na ja, das ist nicht schlimm. Mich sieht sowieso niemand. 

    Zumindest bin ich ein bisschen mit dem Auto herumgefahren und habe ohne Unterbrechungen Musik gehört. Im Radio wird ständig über die Entführten gesprochen. Jede Stunde und jeden Tag spielt das Radio Lieder, die jeder von ihnen mag; Rocksongs, Klassiker, je nach Alter, Stil, je nachdem, woher er oder sie kommt. Jeder und ihre oder seine Geschichte. Denn es handelt sich ja um Menschen, nicht um „Entführte“. Und das muss erinnert und betont werden. Auf jeden Fall hervorragende Musik, die ich lange nicht mehr gehört habe und wie schrecklich halt die Umstände sind.

    Die Freilassung von Geiseln ist in Israel zu einem „Media-Event“ geworden, ähnlich wie die Beerdigung von Prinzessin Diana oder die Friedensabkommen in der Vergangenheit. Wir bereiten uns gerade auf die Übertragung dieses Ereignisses vor. Das ist für niemanden von solchem Interesse wie für uns Israelis. In der überwiegenden Mehrheit der Länder wird darüber überhaupt nicht berichtet und wenn ja, dann nur ganz kurz.

    Ja, das ist unsere Geschichte, und diese ist von unendlicher Sensibilität und Bedeutung geprägt. Das Geschehen bringt uns als Volk zurück in die Zeit, als wir nichts anderes als Glaube und Hoffnung 

    Foto Kredit: EPA Hostage Plakat in Tel Aviv

    hatten und das Weiterleben von der Gnade anderer abhängig war. Heute Abend ist die fünfte Runde und der Waffenstillstand wurde um zwei Tage verlängert. Es ist noch nicht bekannt, wer freigelassen wird. Ich werde zuerst das Abendessen vorbereiten und erst dann, wenn mein Sohn ins Bett geht, schalte ich den Fernseher ein.

  • Yulis Tagebuch, Folge 40

    würgend…

    Ich sitze mit dem Laptop im Bett und spüre einen Druck in der Brust. Ich lege zwei Finger auf die Hauptschlagader und spüre einen schnellen starken Puls. Es sind allein die Gedanken über die letzten Geschehnisse, die mir beim Schreiben großen Stress bereiten. Täglich versuche ich mich durch verschiedene Ablenkungen zu entspannen. Ich versuche, mehr zu arbeiten, mehr zu schlafen, zweimal pro Woche Pilates zu üben und ab und zu Unterhaltungssendungen anzuschauen und in  Konzerte zu gehen. Vielleicht lache ich dann ein wenig und denke an nichts. ABER: es befinden sich 120 Menschen in  Gefangenschaft 

    und bis zu ihrer Rückkehr kann weder ich noch sonst jemand hier wirklich ein normales Leben führen. 

    Warum? Wir können ohne Frieden,  ohne Sicherheit nicht leben, ohne Gewissheit, dass hier ein Ort ist, an dem wir unsere Kinder in Frieden großziehen können. 

    Und wenn die Kinder von anderen nicht nach Hause kommen würden, dann haben wir hier alle ein Problem. 

    Bis Hundertzwanzig Menschen zurückkehren, werden wir den siebten Oktober nicht überstehen können. Denn etwas muss enden, damit etwas Neues beginnen kann. 

    Und der Krieg geht weiter, jeden Tag kostet er mehr Opfer, Soldaten und Zivilisten. 

    Und sie warten auf uns, Frauen, Kinder und Väter, sie wollen nach Hause. Wie können wir hier in Frieden leben, wenn unsere Leute noch dort in der Hölle sind? 

    In den letzten Tagen berichten die Medien über irgendwelche Übereinkünfte mit Hamas im Gegenzug für die Freilassung der Gefangenen. Aber noch nichts passiert, und man weiße nie, was oder wer es wieder zurückhält. 

    Ehrlich gesagt, ich glaube an nichts und niemanden mehr, schon gar nicht an den Premierminister, Netanyahu, der uns in diese Lage gebracht hat. 

    Ich warte nur darauf, dass sie, ob lebendig oder tot, nach Hause kommen. Für die Welt ist dies bereits eine alte Geschichte. Offensichtlich und in gewisser Weise verständlich, gibt es noch Dinge, die interessanter sind als Juden in der Gefangenschaft, wie zum Beispiel die Europameisterschaft…

    Entschuldigung, denn ich wollte eigentlich heute über die fünfte Rückehr-Runde der Gefangenen reden und über die zehn Frauen, die an diesem Abend freigelassen wurden. Aber diese Woche war halt ein Desaster. 

    Vor einigen Tagen wurden im Norden des Landes ein Mann und seine Frau durch eine Drohne getötet, als sie in ihrem Auto unterwegs waren. In einer Sekunde wurden noch drei Kinder in Israel zu Waisen. Es geschah 100 km von hier entfernt. Das ist die Entfernung zwischen mir und dem „Norden“, der täglich von der Hisbollah mit Dutzenden Drohnen, Raketen, Panzerabwehrraketen und anderen Waffen angegriffen wird. 

    Sie schießen auf Militärstützpunkte, Siedlungen und Städte an der Grenze und tiefer im Land. Auf Wohngebäude, Privathäuser, Militäranlagen und Autos während der  Fahrt. Ganz langsam kommen sie uns näher. Am nächsten Tag wurde im Norden ein weiterer Mensch tödlich verwundet, ein weiteres Haus zerstört und ein weiterer Soldat getötet. Und es geht weiter.. 

    Parallel dazu machen die Bedrohungen aus Gaza auch nicht halt.Wöchentlich sind Raketen auf die südlichen Siedlungen aus Gaza abgefeuert werden. Zudem wurden allein dieser Woche sechs weitere unterirdische Tunnel zerstört, nachdem dutzende von Tunneln gesprengt wurden und das ist noch nicht das Ende. Die Crème de la Crème aus dieser Woche ist ein Artikel über die Sängerin Eden Golan, die israelische Vertreterin zum Eurovision Song Contest. Sie erzählte, dass sie wegen der Drohungen das  Hotel in Malmö nur verkleidet verlassen konnte. Europa 2024.

    Viel mehr als die Neonazis im ganzen Europa sind es tatsächlich die Einwanderer und Flüchtlinge aus arabischen Ländern, die eine ernsthafter Bedrohung für europäische Juden und Israelis werden. Mittlerweile erhalten sie Geld aus dem Iran oder Katar, damit sie die Demonstrationen und Demonstranten unterstützen, an  denen sie gleichfalls teilnehmen. Immer weiter verbreiten die Lügen und hetzten gegen Israel und Juden. 

    Sie sind keine Menschen des Friedens oder Menschen, denen die armen Bewohner in Gaza leid tun, da sie vor Armut, extremen islamischen Regimen und Terrorismus selbst geflohen sind. Welches Interesse haben sie also daran, die terroristische Herrschaft Gazas zu unterstützen? Unter dieser Herrschaft haben Menschen in Gaza ohne Wasserleitung  17 Jahre lang gelebt (die Herrscher hatten jedoch in den luxuriösen Villen alles gehabt. Sie haben das Geld aus Europa sehr gut genutzt.) 

    Norden Israels, Kredit: Evi Sharir (YNET, 10.07. 24)

    Welches Interesse haben sie daran ein Land ohne Menschenrecht zu unterstützen? Welches Interesse haben sie daran die Auslöschung eines Landes zu fordern, das ein integraler Bestandteil der Kultur und Geschichte Europas ist? 

    Sie kamen nach Europa, um in Frieden zu leben und jetzt terrorisieren sie Juden und Israelis in Europa. 

    Wir können das Gespräch über die Studenten erweitern, über denjenigen, die nach einer Bedeutung suchen, die länger als 15 Sekunden anhält, aber das ist ein anderes Kapitel.

    Ich denke, ihr ultimatives Ziel besteht darin, Europa zu destabilisieren. Je stärker Europa politisch destabilisiert ist, umso mehr verbessert sich ihr Status. Sie sind die größte Minderheiten- gruppe Europas und sie werden von Extremisten  beider Seiten genährt.

    So nutzten sie auch das gegenwärtige Wahlrecht und schafften es, den Sieg israelfeindlicher und linksextremer Parteien in Frankreich und Großbritannien herbeizuführen.

    All das, während sie das historische Gedächtnis und den inneren Konflikt Europas wecken, der 80 Jahre lang schüchtern versteckt war.

    Wer sind die  Einwanderer, die Hamas aus bewusster Unterstützung des Terrorismus unterstützen? 

    Sind der Aufstieg und die Stärkung extremer politischer und religiöser Bewegungen unvermeidlich? Wie sollen wir mit dem Konflikt umgehen?

    Aber all diese Gedanken verschwanden augenblicklich, als ich mit meinem Sohn im Park war und ER plötzlich an mir vorbeiging. 

    Ich blieb stehen und sah IHN hinter meiner Sonnenbrille an. Ich wusste, dass ER mich sah, bevor ich IHN bemerken konnte, aber ER tat so, als würde ER mich nicht sehen, und ging weiter. Seitdem habe ich zwei Tage lang nichts gegessen.

  • Yulis Tagebuch, Folge 39

    Die Vierte Runde

    Gemäß einer vierten Vereinbarung wurden jetzt zwei Frauen und neun Kinder freigelassen, ausgetauscht gegen 150 Terroristen aus israelischen Gefängnissen. Zwei Brüder, Or (12) und Yagil Yaakow (16) wurden freigelassen, ihr Vater muss in Gaza bleiben. 

    Eitan Yahalomi (9), der auf einem Motorrad entführt wurde, ist ebenfalls frei. Sein Vater, der zu Hause im Kibbuz Nir-Oz verletzt und später entführt wurde, bleibt in Händen der Entführer. In der Liste waren auch Sahar (16) und Erez (12) Calderon. Deren Vater muss ebenfalls in Gaza  bleiben. Am 7. Oktober wurden ihre Großmutter Carmela und die 13jährige Cousine, Noya, im Kibbuz ermordet. 

    Sharon Aloni Cunio mit ihren dreijährigen Zwillingen Emma und Yuli, Sharons Schwester Danielle, die am 7. Oktober mit ihrer Tochter ihre Schwester in dem Kibbuz besuchte, wurden ebenfalls entführt. Sie wurde in einer ersten Runde zusammen mit Emilia, ihrer Tochter, freigelassen. David Cunio, Sharons Ehemann, bleibt in Gaza. Karina Engel-Bart, ursprünglich aus Argentinien, wurde mit ihren Töchtern Mika (18) und Yuval (11) freigelassen.

    Ich hätte jetzt so gerne geschrieben, dass auch Shiri Bibas gemeinsam mit ihren beiden süßen rothaarigen Kindern Kfir (9 Monate) und Ariel (4) zurückgekommen wäre, denn Ariel und Baby Kfir sollten nicht in Gefangenschaft sein, sondern zu Hause leben, sicher und fröhlich spielen dürfen. Weder Gewehre noch Granaten sollten über ihre Köpfe hinweg abgefeuert werden. Leider sind aber auch sie noch immer in Gefangenschaft.

    Ich schaffe es nicht, über 250 Gefangene zu erzählen. Ich kann nur über manche von ihnen reden und versuchen, ihre Geschichten zu vermitteln. Der psychologische Terror, den die jungen Menschen durchgemacht haben, offenbart sich erst langsam nämlich dann, wenn sie darüber reden können. 

    So die Geschichte von Orund und Yagil Yaakov, zwei Brüdern, die in der Gefangenschaft getrennt wurden und unter Drogen gesetzt wurden. Auf dem Weg nach Gaza wurden, um ein Weglaufen zu verhindern und sie zu „markieren“, ihre nackten Füße gegen den Auspuff des Motorrads gedrückt und ihnen so Verbrennungen zugefügt, damit sie nicht entkommen konnten. So können sie auch schnell identifiziert werden. Später, in der Gefangenschaft, erschien Yagil in einem vom Islamistischen Dschihad verbreiteten Horrorvideo, verängstigt und ungesund sein Aussehen, mit dunklen Augenringen. Er ist ein Kind mit einer lebensbedrohlichen Allergie gegen Erdnüsse, das warf  ein großes Fragezeichen zu seinen Überlebenschancen in Gefangenschaft auf.

    Auch die gesamte Familie von Eitan Yahalomi wurde entführt. Nur durch Glück gelang es seiner Mutter, die mit einem Baby und einem Mädchen entführt wurde, zusammen mit den beiden vom Motorrad zu springen. Als die Terroristen auf den Zaun zufuhren, sahen sie einen IDF-Panzer. Gestresst und überrascht stürzten sie mit dem Motorrad. Die Mutter hat die Gelegenheit genutzt, um zu entkommen, während sie ihren Sohn auf dem Motorrad vor sich sieht, das weiter nach Gaza fährt. Sie liefen auf die Felder zwischen Israel und Gaza und blieben dort, bis die IDF sie einige Stunden später fand.

    Als Eitan in Gaza ankam, schlugen die Bewohner des Gazastreifens ihn und die anderen Entführten auf der Straße. In der Gefangenschaft wurde ihm erzählt, dass auch seine Mutter entführt worden sei und es kein Israel mehr gäbe. Er konnte nur auf die Toilette gehen und wenn er Hunger hatte, hat er sieben Stunden auf etwas Reis gewartet. Ja, der psychologische Terror in der Gefangenschaft hat die Kinder nicht verschont. 

    Sie zwangen Eitan, sich das Horrorvideo anzusehen, das die Armee für Beamte im Ausland vorbereitet hatte und das Aufnahmen der Terroristen in einer unzensierten Fassung enthielt. Weinen war  ihm und den anderen Kindern nicht erlaubt, sie  wurden  dann mit einer Waffe bedroht. Wenn es um Kinder geht, weiß die Forschungsliteratur nicht, wie man damit umgehen soll, weil so etwas noch nie passiert ist. Es gibt keine Studien zu  Kindern in der Gefangenschaft. Vielleicht weil es so abgrundtief böse ist, dass man es nicht denken will. 

    Jeder Entführte, ob jung oder alt, der zurückkehrt, bleibt noch lange psychologisch gefangen. Aber die Sorge um die Kinder und der Wunsch, sie zu schützen und zu heilen, ist grenzenlos. Über die Männer wird zwar weniger gesprochen, weil sie zuerst die Frauen und Kinder befreien wollen, aber sie sind auch jemandes Kinder, jemandes Vater, Großvater, Liebhaber. Auch sie machen sich Sorgen, sie sind verletzt, sie weinen und auch sie müssen so schnell wie möglich nach Hause kommen. 

    Gleichzeitig werden in Gaza kämpfende Soldaten getötet. Sie sind dort, um alle nach Hause zu bringen und uns ein Leben in Frieden zu ermöglichen. Ja, … und wir sind zu Hause, gelähmt vor Trauer, weinen mit ihnen, weinen für sie. Und für den Rest der Welt ist nur ein weiterer Tag vergangen.

    Ein Youtube -Video, welches die Mutter von Ori und Yagil Yaakov gemacht hat, nach deren Entführung!