Samstag wie in der Schweiz
Fragen Sie sich vielleicht, ob ich heute noch dieselben Angstsymptome habe wie am 7. Oktober? Die Antwort ist zunächst ganz einfach: Nein, die habe ich nicht.
Doch Angst ist unser ständiger Begleiter, nur fühlt sie sich jetzt anders an. Die Erklärung dafür ist einfach: Ein Raketenangriff aus dem Norden oder aus dem Süden ist – leider – eine Routinesache, sie löst daher keine so starken Empfindungen von Angst aus wie der 7. Oktober 2023. Das physische Eindringen eines Fremden in die Nachbarschaft, in das eigene Haus, den für jedermann intimsten Ort, die barbarischen, abscheulichen Gräueltaten der Morde und Massaker, die keinen Präzedenzfall hatten, das sind unvergleichliche Geschehnisse, die in uns nisten.
Dagegen sind Einschläge von Raketen nicht Neues. Wir haben es seit Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre immer wieder erlebt, und damals waren wir ziemlich wehrlos. Keine Schutzräume und ohne Iron-Dome, oder so etwas ähnliches. Damals saßen wir zu Hause mit der Gasmaske in Griffnähe und haben gewartet, einfach gewartet.
Heute ist übrigens Tischa beAv, ein Tag der Trauer und des Fastens. Der Tag ist eigentlich der Abschluss dreiwöchiger Trauer zur Erinnerung an die Zerstörung des Tempels. Aber es geht um viel Tieferes, als nur darum. Es geht vor allem um die Beziehung zwischen den Menschen. Tischa beAv erinnert uns und will mahnen, bessere Menschen miteinander zu sein. Ich faste nicht, aber es gibt ganz viele, die das doch machen, wie mein Vater zum Beispiel, der schon in der Syngoge ist. Das Fasten hat gerade begonnen und endet morgen Abend.
Also, die Theorie war, der Angriff würde wahrscheinlich heute, am heiligen Tag, beginnen. So warten wir. Aber am letzten Wochenende habe ich nicht gewartet, wir waren in Haifa. Die Terroristen wünschen sich zweifellos, daß wir nichts mehr unternehmen, daß wir vor Angst zu Hause bleiben und uns ängstlich so weit als möglich zurückziehen. Aber, wir erziehen hier dennoch unsere Kinder, sie schauen uns an und beobachten unsere Reaktionen. Wenn wir ihnen nur Angst und Unsicherheit vermitteln würden, wenn sie fühlen würden, daß wir unsicher und mutlos sind, wir leben jetzt fast ein Jahr im Krieg, dann würden wir genau solche verunsicherten Menschen großziehen. Meine Schwägerin und ich hatten entschieden, am Samstag mit den Kindern für die Geburtstagsfeier unserer Verwandten nach Haifa zu fahren. Ja, ich hatte trotzdem Angst, aber ich habe es nicht gezeigt und versucht, immer positiv zu denken.
Es gab viele Momente auf der Autobahn, da war außer uns kein einziges Fahrzeug unterwegs. In diesen Momenten konnte auch die angenehme Musik im Auto die Anspannung nicht mindern. Nach 70 Minuten kamen wir endlich an. Die Kinder hatten Spaß im Pool, sprangen auf dem Trampolin, spielten im Holzhaus im Garten und versteckten sich. Nachdem wir im Garten gegrillt haben und alles gegessen hatten, bekamen die Kinder noch viele Süßigkeiten und ein Stück Geburtstagskuchen bekamen sie am Ende natürlich auch noch. Am Abend sind wir zurückgefahren. Auf der Fahrt schlief mein Sohn schon ein und ich habe ihn schlafend ins Bett getragen.
Wir feierten einen Schabbat, als ob wir nicht in einem Krieg leben. Es war ein ganz normales Wochenende, wie bei gewöhnlichen Menschen, die in Norwegen oder in der Schweiz leben. Ein Schabbat der unbeschwerten Menschen. Die Kinder waren glücklich, die Erwachsenen ebenso. Es war wunderbar. Und Israel hat am Samstag sogar noch die 7. Medaille bei den Olympischen Spielen gewonnen. Es war wirklich wunderbar! Ein echt fröhlicher Tag.
Und ich frage mich: Wie kommt es, dass ich inmitten all dieses Wahnsinns plötzlich Lust auf noch ein Kind habe? Macht es Sinn?