Yulis Tagebuch, Folge 33


Urlaub vor dem Sommer (und noch 120 Menschen in der Gefangenschaft!)

Ich mag die Hitze nicht. Vor allem die israelischen Sommer nicht. Sie sind zu heiß, zu feucht und zu lang. Ich bin im Herbst geboren, am 7. Oktober, und bin zweifellos ein Mensch des Herbstes  und Frühlings. Ich bevorzuge mehr einen Tag Regen und am nächsten Tag Sonne, als pausenlos heiße Tage.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich mag den Sonnenschein, aber bis zu einer bestimmten Temperatur. Wenn einem beim Sitzen im Garten mit einem kühlen Bier in der Hand, die Haare schweissgetränkt am Nacken kleben, ist das ein Zeichen dafür, dass die Hitze unerträglich ist. 

Allerdings wäre es schön gewesen, wenn die Hitze das einzige Unerträgliche  wäre – der Krieg, der Antisemitismus, die Gefangenen, die Politik im Ganzen und Netanyahu im Besonderen, aber auch die Lebensmittelpreise,  der Treibstoff, und viel mehr – so vieles ist derzeit schwierig und unerträglich.

Um den Kopf und Seele zu klären, flogen wir mit einer Freundin und ihrem Sohn nach Eilat, ans Rote Meer. Warum dorthin? Der Norden Israels wird ständig von der Hisbollah bombardiert und steht seit vielen Wochen in Flammen. Bereits 15.000 Dunam (1.000 qkm)!Wald wurden niedergebrannt und die Flammen fressen laufend immer mehr. Bei starker Hitze und Wind ist es noch schwieriger, das Feuer zu löschen. Über den täglichen Beschuss aus dem Libanon hinaus ist der Norden kurz nach dem  7. Oktober gleichfalls menschenleer geworden. Deshalb gibt es gerade keine Möglichkeit, um in den wunderschönen Norden zu reisen, wo  täglich weiterhin gelöscht wird.

Auf der anderen Seite Israels liegt Eilat. Eilat ist im Grunde eine Wüste und die Temperaturen erreichen im Hochsommer +47 Grad Celsius. Es kommt vor, dass es  Anfang Juni dort schon ungewöhnlich so heiß ist wie im Hochsommer. Das bedeutet, es war draußen um 21 Uhr ebenfalls unerträglich heiß. An einem Tag verbrachten wir ein paar Stunden am Unterwasser-Observatoriumsturm und am ganzen Marine Park und am Samstag waren wir am Delfin-Riff. Dort gibt es einen schönen Strand mit verschiedenen Tieren und ganz viel Bäumen, die Schatten spenden und auch die Luft kühlen.

Die Kinder gingen mit den Schnorcheln ins Wasser, während ich ihnen auf einem Stuhl im Wasser zusah. Danach gingen wir, um die Delfine zu treffen. Meine Freundin war ungewöhnlich begeistert von den Delfinen und fotografierte pausenlos. Ich, im Gegensatz, schloss hinter der Brille die Augen und dachte an IHN und wie weit wir voneinander sind. Wir haben uns seit so vielen Monaten nicht gesehen und ich habe überhaupt nichts  mehr von IHM gehört. Deshalb war ich auch allgemein froh, dass die Cocktails am Strand sehr günstig waren. 

„Ich denke, wir werden hier zum Mittagessen noch bleiben und dann ins Hotel zurückkehren“, schlug ich meiner Freundin  vor. Ich war erschöpft von der Hitze, mein Kopf brannte vor Gedanken und ich brauchte die Klimaanlage, um mich herunterzukühlen. Die Kellnerin war trotz der Hitze flink und aufmerksam und ziemlich schnell war alles schon auf dem Tisch. Fünf Minuten später begann plötzlich aus allen Seiten ein Applaus, fröhliche Pfiffe und Leute am Strand begannen zu singen.

Ich verstand nicht, was passiert war, also habe ich jemanden gefragt: Vier Entführte wurden von der Armee befreit.  Noa Argamani (26) und drei Männer: Almog Meir Jan (22), der auf dem Nova Festival arbeitete, Andrey Kozlov (27), dessen Familie in Russland lebte und Shlomi Ziv (40) Jahre alt. Sie wurden täglich geschlagen und gequält und acht Monate lang ausgehungert, aber endlich noch lebend befreit. Noa Argamani besuchte ihre Mutter, die sich in einem ernsten Zustand im Krankenhaus befindet, und Andrey traf sich mit seiner Familie, die in Russland  lebt. 

Almogs Vater starb einen Tag vor seiner Freilassung und Noa, deren Freund immer noch in Gefangenschaft ist, traf sich mit seiner Mutter.

Unter meiner Sonnenbrille flossen jetzt Tränen des Glücks, für die vier, die das Glück hatten, dem Inferno entkommen zu sein. Wie viel Freude hat es uns Israelis bereitet, dass es für vier Menschen wieder eine Chance zum Leben gab. Dieser Schabbat war nicht mehr dasselbe. Der Tag war von einer anderen Energie erfüllt, die ein Gefühl des Glücks vermittelte. Für einen Moment war die Realität erträglich. 

Gleichzeitig trauerten wir um den, der bei der Rettungsaktion getötet wurde und symbolisch oder nicht, wurden ein paar Tage nachher vier junge Soldaten getötet. Da sich die Informationen über die freigelassenen Entführten immer weiter häufen, verstehen wir noch besser, wie wesentlich und dringend es ist, die 120, die sich noch dort befinden, so schnell wie möglich freizulassen.

Am letzten Tag hat mich die Grippe erwischt. Anscheinend war der Entspannungsversuch zu stressig für meinen Kopf. Also, zurück zur Routine…