Gedenktag in Israel an den Holocaust und den 7. Oktober
Erinnerungsarbeit
Zeitzeugen stellen als Quellen historischer Erkenntnis stets eine wichtige Verbindung zwischen Generationen, Kulturen und Zeiten her. Ihre privaten Geschichten werden dabei vor allem als individuelle Erzählungen vermittelt und interpretiert. In Bezug auf den Holocaust wurden in den lokalen kulturellen Kontexten die Holocaustzeugnisse zumeist in eine umfassendere Bedeutung als die persönliche Geschichte integriert. Und trotz der zunehmenden Entfernung von jener Zeit sowie den Versuchen der Leugnung oder auch gelegentlich anzutreffender Gleichgültigkeit gegenüber dieser Vergangenheit wurde bislang die Singularität des Holocaust als einzigartiges Geschehen in der Geschichte der Menschheit bewahrt.
Der Holocaust wurde dabei zu einer Geschichte, durch die sich jede menschliche Gesellschaft in ihrem kulturellen Kontext zur Prüfung aufgefordert sieht. In der gegenwärtigen Realität arbeitet die Leugnungsmaschinerie der Hamas ununterbrochen, nicht nur um die eigenen Gräueltaten zu leugnen, sondern auch um auf alle Fälle den Mythos des Opfers zu behalten, auf dem das langjährige palästinensische Narrativ fußt und über das die Hamas ihre Schirmherrschaft übernahm, wie sie es offiziell in einem Dokument ausdrückt.
Viel mehr und im Gegensatz zu den gefilmten Gräueltaten des 7. Oktober bereiten die Hamas und ihre Unterstützer Filme über die Tötung und Zerstörung in Gaza vor, die in den Nachrichtensendungen überall im Ausland gezeigt werden und dort überaus präsent sind – und die so die Verbrechen der Hamas täglich in einen anderen Kontext stellen und unsere Geschichte zahlenmäßig in den Hintergrund drängen.
Die Welt hat den 7. Oktober schon fast vergessen. Schlimmer ist es, dass viele so gar keine Ahnung davon haben. Eine erstaunliche wahre Geschichte aus dem letzten Tage beginnt mit einer Facebook-Post einer Israelin, die Süditalien besuchte.
In einem Restaurant unterhielt sie sich mit dem Kellner und er hat ihr von seinen israelischen Freunde erzählt. Fröhlich hat ihr der Kellner das Foto von den Bekannten gezeigt, die ein paar Monate zuvor im Restaurant saßen und mit ihm das Foto aufnahmen.
Auf dem Foto sieht man die Touristen Shiri und Yarden Bibas, die mit ihrem rothaarigen Kind seit mehr als einem halben Jahr in Gaza in Gefangenschaft sind.
Der verlegene Kellner hatte davon aber keine Ahnung. Wie kann das sein, dass die Nachrichten über die Entführten nicht überall bekannt und ungeheuer wichtig sind? Wie kann es sein, dass unsere Seite in dieser Geschichte so deutlich ignoriert wird? Wie kann es sein, dass trotz der Zeugnisse und der Berichte der Entlassenen über die Vergewaltigung der Frauen und Männer in der Gefangenschaft die Frauenorganisationen noch immer Stille bewahren?
In den ersten Tagen der Katastrophe waren es die Bilder aus den schönen Momenten vor dem Massaker, die die westliche Welt mit unserer Geschichte verbanden. Bands, die sich nie mit Israel identifizierten, wie U2 oder Coldplay sangen im Gedenken an die Musikliebhaber vor Millionen von Fans. Weil Nova den Westen symbolisierte; Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Und diese Geschichte gelangte in einen lokalen kulturellen Kontext und schaffte es, die Menschen zu berühren.
Aber seit Israel gegen die Hamas kämpft, hat die Welt diese gemeinsamen Werte, für die wir kämpfen, augenscheinlich wieder vergessen. Die Welt hat die Fotos der Massaker unterdrückt, während Bilder aus dem Gazastreifen die Media überfluten.
Daraus sollten wir lernen, dass die gefilmten Beweise der Körperkameras der Terroristen und der weltweit gezeigte Atrocities Film nicht ausreichen, um mit der Leugnung und dem Vergessen der Verbrechen vom 7. Oktober umzugehen. Denn die Erinnerung basiert nicht nur auf einem Foto oder einem Video, sondern darauf, wie die Taten in einem größeren Kontext weiter angenommen und interpretiert werden und wie die Bedeutung der Beweise vertieft wird und der Zuhörer für sich die Möglichkeit der Identifikation eröffnet.
Genau diese Arbeit wurde durch Aussagen von Holocaust-Überlebenden wirksamer geleistet als durch Filme aus dem Holocaust. Und hier sollen wir es auch machen. Nicht, weil wir die Zuhörer überzeugen wollen, sondern um mit ihnen zum ersten Mal unsere Geschichte im Ganzen zu teilen.
Die Vielzahl der Zeugnisse der Nova-Überlebenden, der Überlebenden der Kibbuzim, der Entlassenen aus der Gefangenschaft, die Geschichten der Opfer und mehr, sind ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte des 7. Oktober und nicht weniger bedeutsam als die Filmaufnahmen der Hamas.
Wer auf der Welt weiß, dass über 50 Menschen, die die Massaker des Festivals überlebt haben, später Selbstmord begangen haben?Die Trauer darüber ist unendlich. Die Israelis sind eventuell Tuff, aber sind genauso empfindlich. All dies aber muss in einen größeren Kontext eingebunden werden – menschlich und kulturell weit über das Politische hinaus –, um beim Zuhörer Verständnis für unsere Geschichte zu schaffen. Nicht umsonst nennt die historische Holocaust-Forschung dies „die Arbeit an der Erinnerung“. Denn Erinnerung ist etwas, das sich in verschiedene Richtungen verändert und entwickelt, und wir haben gegenüber den Opfern und Überlebenden die Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie erhalten bleibt.