Yulis Tagebuch, Folge 6


Entscheidungstreffen

Aktuelle Berichte klären eine bange Frage – die heftige Explosion, von der ich berichtete, war von einer Rakete ausgelöst worden.
WhatsApp-Gruppen von Verwandten und Freunden tauschten hierzu in Windeseile unterschiedliche Nachrichten aus. Die einen meinten, sie sei über dem Meer explodiert, andere sagen, fünf Kilometer von uns entfernt hätte sie eine Detonation verursacht.
So oder so, es ist eigentlich unmöglich, in ständiger Erwartung solcher Explosionen über unseren Köpfen zu leben. Um noch präziser zu sein, mir ist der Gedanke von Explosionen über dem Kopf meines Kindes untragbar. Ich beschliesse, morgen nach Haifa zurückzukehren.

Ich verstehe immer weniger, wie die Menschen in den Kibbuzim oder in den südlichen Städten Israels über 15 Jahre, jeden Tag, jede Woche, jeden Monat mit solchen Bedrohungen gelebt haben. Denn man hat lediglich etwa sieben Sekunden Zeit, wenn solche Explosion die Luft zerreißt. Wenn man ernsthaft
darüber nachdenkt ist das eher eine Warnung, nämlich die, dass man im Ernstfall kaum jemanden retten kann. Zudem fallen Schüsse auch in der Nacht, wenn Babys und Kleinkinder schlafen und das macht die Suche nach einem Unterschlupf noch weitaus prekärer.

Welches Land hatte Verständnis dafür, dass man hier mit einer solchen Bedrohung lebte? Kein Land, mit der Ausnahme Israels natürlich. Das einzige Land, das von westlichen und arabischen Staaten ständig diffamieren wird, während diese Länder – bewusst oder unbewusst – jene gefährliche Politik
unterstützen, seien es die iranischen Ayatollahs und Terrororganisationen, die von Katarischem Geld leben. 2014 hat die Europäische Union die HAMAS von der Liste der Terrororganisation gestrichen, siehe taz.de.

Politische Ambitionen und internationale Wirtschaftsinteressen bestimmten, was in den Medien im Laufe der Jahre immer deutlicher artikuliert worden ist: Gaza ist das Opfer und Israel der Angreifer. Die alltäglichen Nachrichten oder gar längere Reportagen außerhalb Israels beschäftigen sich deshalb nicht mit den psychischen Problemen, die etwa die Kinder im Süden Israels quälen. Sie beschäftigen sich nicht damit, wie zum Beispiel Familien in Israel unter täglichem Raketenbeschuss und Explosionen leben. Solche existenziellen Probleme, die ein
Leben im Schatten dieser Ängste aufwerfen kommen in den Nachrichten in Europa oder in Amerika nicht vor. Es sei denn, dass Israel angreift. Dann lautet die Schlagzeile überall, wie eine Pandemie: „Israel greift Gaza an“.

Im Verlaufe eines Jahrzehnte währenden Konflikts, nach zwanzig Jahren Raketenbeschuss aus Gaza, hatten, so merkwürdig das klingt, die Israelis eine Art Gleichgültigkeit gegenüber dieser medialen Schieflage entwickelt und sich tatsächlich so an sie gewöhnt, dass die Regierung sich lange nicht genötigt sah, ein Informationsministerium einzurichten. Nun ist es inzwischen so, dass eine neue Generation – basierend auf dem, was auf Tiktok läuft und gestützt auf einseitige Medienreportagen – auf den Straßen für die Zerstörung Israels demonstriert.

Dagegen hatten die Israelis lange keinen guten Plan. Ich erinnere mich an dieses Alter; es gab die Gans N Roses Fans oder die Metallica Fans, jeder in seiner Gruppe. In diesen Zeiten scheint es sehr modern zu sein, Israels Gegner zu werden, und zu dieser Gruppe gehören die meisten jungen Menschen.
Andere Gruppen sind zu klein, zu alt, haben keine gute PR und Parolen. Ich werde bald in Haifa sein, dann werden wir auf diese Demonstrationen noch zurückkommen.

Erst am 19. Januar 2024 – und „Halleluja“ muss man hier sagen – wird ein Beschluss des Rates zur Einführung restriktiver Maßnahmen gegen diejenigen, die gewalttätige Aktionen der HAMAS und des Palästinensischen Islamischen Dschihadunterstützt, erleichtern oder ermöglichen – siehe dazu eur-
lex.europa.eu

In der Tat ist die HAMAS entsprechend dieser Definition vor allem eine Guerillaorganisation. Wie die Hisbollah, unterstütz von der lokalen Bevölkerung, richtet sich die Organisation mit politischen, militärischen und finanziellen Institutionen ein. Aber wie eine Terrororganisation HAMAS richtet seine Waffen nicht nur auf militärische, sondern auch auf zivile Ziele.

Ich muss jetzt Wäsche waschen, damit bis morgen alles getrocknet ist. Ich bin mit mir im inneren Einvernehmen, dass wir nach Haifa zurückkehren. Zumindest ist das mein Plan an diesem Morgen. Obgleich mir nach und nach dämmert, dass auch dort wohl nichts mehr so sein wird, wie es früher war.

Inmitten des andauernden Krieges zwischen Israel und Hamas finden Freiwillige im Kibbuz Alumim einen Sinn im Melken von Kühen – und retten möglicherweise das Leben der traumatisierten Tiere. An diesem Ort, der von einer Tragödie gezeichnet ist, erleben wir Widerstandskraft, menschliche Verbundenheit und gemeinsame Verantwortung im Angesicht des Unglücks.