Dilemma
Donald Trump wurde soeben zum Präsidenten der USA gewählt und die Wahlen werden, wie stets, auch immense Auswirkungen auf Israel haben. Gleichzeitig entließ der Premierminister Verteidigungsminister Galant und er ersetzte ihn mit einer Person, die zuvor Verkehrsminister und später Außenminister gewesen war. Das ist einfach lächerlich, denn es ist sehr fraglich, ob er in der Lage ist, mit den Amerikanern eine sachliche Diskussion auf Englisch zu führen und sie zu verstehen. Sicher ist, dass die Entscheidung, den für Israel hervorragenden Verteidigungsminister gerade jetzt zu entlassen, nur auf den persönlichen Interessen von Binyamin Netanjahu beruht, der uns weiterhin vernachlässigt.
Parallel wartet Israel auf den Angriff des Iran. Gestern drohte man von dort mit einem Cyberangriff, der vielleicht schon geschehen ist oder auch nicht – ich weiß nicht, ich habe die Nachrichten in den letzten Tagen nicht gewissenhaft verfolgt, weil ich mit dem Semesterstart viel Arbeit hatte. Gleichzeitig schreitet meine Archivrecherche voran und da entdecke ich Texte, die in den siebziger Jahren entstanden sind, aber so klingen, als wären sie erst vor ein paar Tagen geschrieben worden wären.
Ich paraphrasiere jetzt das, was damals gesagt wurde, denn ich bin noch nicht bereit, den Sprecher, den Ort und die Zeit zu veröffentlichen: „Schon die Tatsache, dass wir Juden sind, ist eine Schuld. Und es gibt ein System, das über diese Schuld urteilt. In diesem System ist es möglich, dass wir angegriffen, aber als die Aggressoren bezeichnet werden.
Denn wenn ein erklärter kämpfender Feind Ehrenmitglied der Justizinstitutionen der Nationen wird, die uns outen/verurteilen oder mit einem Boykott drohen. Hier ist es möglich, dass
Bewegungen, die Frauen und Kinder töten, als unterdrückte Befreiungsbewegungen bezeichnet oder anerkannt und beschrieben werden und wir vor Gericht stehen und wegen Nazi- Akten angeklagt werden.“ (Y.B.A.)
Ich denke an diese Worte, die kurz nach dem Jom-Kippur-Krieg gesagt wurden und ich denke, dass heute die existenzielle Gefahr für den Staat Israel tatsächlich nicht von seinen Nachbarländern ausgeht. Gaza ist kein Staat und der Libanon wird nicht als Feind angesehen, wie die dort herrschende Organisation der Hisbollah. Jene Gefahren entstammen tatsächlich weiter entfernten Ländern, jenen, die Hass und Antisemitismus fördern und sie geschehen lassen.
Israel hat im Nahen Osten Bündnisse geschlossen, insbesondere in den letzten Jahren mit den 2020 „Abraham-Abkommen“, parallel mit dem Zerfall von Ländern wie Libyen und Irak, die einen fruchtbaren und wohlhabenden Nahen Osten hätten schaffen können. Aber der Antisemitismus ist stärker als jede Logik und so tief in der Menschheit verankert, dass er durch die Friedensverträge mit seinen Feinden noch hasserfüllter wird.
Diese frustrierenden Gedanken gehen mir ständig durch den Kopf. Die Schuld, die Opfer, das Böse in der Welt, der Schmerz, die Liebe, der Wunsch zu lieben und geliebt zu werden, der Wunsch, zu beschützen und sich beschützt zu fühlen. Eine kultivierte Unterhaltung mit Menschen in der Welt führen und zu wissen, dass es möglich ist, meine Meinung zu teilen, aber ebenso vielleicht auch nicht und dennoch verständlich zu sein.
Nun genug des Hasses … Warum müssen die Menschen so sehr hassen? Es spielt überhaupt keine Rolle, welches Geschlecht, welche Religion oder welche Hautfarbe eine Person hat. Das Leben ist zu kurz, um es mit hasserfüllten Gedanken zu verschwenden. Am Ende sterben wir alle, ahnungslos sowieso …
Ja, die Dummheit hat mich diese Woche sehr gut angetroffen. Als wir vom Schwimmunterricht zurück ins Auto stiegen, heulten ein paar Minuten später die Sirenen. Wir fuhren in dem Moment über eine Brücke. Wir blieben an einer roten Ampel stehen, ich öffnete die Fenster und sah am Himmel das helle Licht, das gleich explodieren sollte. Ich sagte zu meinem Sohn: „Wir müssen aus dem Auto aussteigen und uns verstecken, weil es nicht sicher ist, im Auto zu bleiben.“
Die Sirenen heulten im Hintergrund weiter. Die Ampel war grün. „Mama, halt nicht an, fahr weiter.“ Drei riesige Explosionen über uns am Himmel. „Vielleicht halten wir hier an?“, fragte ich. Wir standen an einer Kreuzung, alle Autos waren leer, nur ich und mein Sohn saßen noch im Auto. „Weißt Du, dass es wirklich gefährlich ist, dass wir hier sitzen? Weißt Du, dass das Auto in einer Sekunde in Flammen aufgehen kann, wenn Raketenteile in unserer Nähe oder auf uns fallen? Warum höre ich Dir zu und wir steigen nicht aus dem Auto? Es ist falsch!“
Mir wurde klar, dass ich mit einem sechsjährigen Kind diskutierte, anstatt es aus dem Auto zu holen und in Deckung zu gehen, um es zu beschützen. Ich erstarrte. Ich gebe zu, dass ich Angst davor verspürte, aus dem Auto auszusteigen. Ich hatte Angst, dass ich es nicht aushalten würde, dass ein anderes Auto vorbeifahren und wir angefahren werden würden.
In welchem Dilemma stecke ich in meinem Leben, nur weil wir Juden sind. Allein die Tatsache, dass wir Juden sind, ist unsere Schuld, aber das wurde schon gesagt …