6. Oktober 2023
Jemand nannte ihn den letzten Tag unseres alten Lebens
Vor einem Jahr war der 6. Oktober ein ganz normaler Tag, ein Freitag, außerdem der Vorabend eines Feiertags und der Tag vor meinem Geburtstag.
Am jenem Nachmittag ging ich mit meinem Sohn zum Konzert von Mergui im „Barbie-Club“ in Tel Aviv. Seit langem haben wir es geschafft, wieder bei seinem Konzert dabei zu sein. Wie viele Künstler in dieser Zeit trat er freiwillig für die Evakuierten aus dem Norden und Süden in der Stadt auf. Und es gibt kaum Schöneres, als seinen Lieblingssänger zum ersten Mal in einem Konzert auf der Bühne zu sehen. Nach dem „Barbie“ gingen wir mit meiner Schwester und ihrem Sohn zum Abendessen in ein japanisches Restaurant.
Schon in jungen Jahren haben unsere Kinder Sushi gegessen, und ich glaube, es gibt nichts, was ihnen bis heute besser schmeckt, nicht einmal Hamburger oder Pizza, nicht einmal Eis. Um ehrlich zu sein, den Geldbeutel schont es nicht gerade, denn der Preis für eine Mahlzeit in einem Restaurant für zwei Personen hierzulande beträgt nicht weniger als 50 Euro. Das ist eigentlich eher das Minimum.
Und auch im Großen und Ganzen war es keine einfache Zeit, weder wirtschaftlich noch politisch. Es gibt viele Probleme innerhalb Israels, die uns damals und jetzt noch beschäftigten, denn gleichzeitig wurden die Preise für Wohnungen, für die Mieten, die Lebensmittel und die Kleidung teurer, so daß uns die Frage beschäftigte, wie wir das schaffen. Was wird noch werden? Diese alltäglichen Überlegungen hielten uns jeden Tag auf Trab.
Wenn wir auch nicht darüber sprachen oder aufhörten, vieles von dem zu tun, das wir gewohnt waren, wir haben alles etwas reduziert. Wir gingen abends weniger aus, bestellten nicht die teuersten Gerichte in Restaurants, flogen Low-Cost und verzichteten auf extra Gepäck. Wir machten kürzere Ferien und kauften kleinere Geschenke füreinander. Im Supermarkt kauften wir größtenteils das, was wir brauchten. Wir reduzierten Aktivitäten für Kinder am Wochenende, die teuer waren und gingen, wenn möglich, einfach an den Strand. Es ist kostenlos, nah bei uns und heilt die Seele von Jung und Alt.
Obwohl der Terrorismus nicht aufhörte – Raketen wurden unverändert aus dem Norden oder dem Süden fast täglich auf uns abgefeuert – bestand doch keine Aussicht auf eine größere Bedrohung aus Gaza und auch nicht von unserer Seite, etwa eine militärische Operation dort. Zu den Drohungen von außen trat ein Streit zwischen rechts und links in Israel – sichtbar in wöchentlichen Demonstrationen in Tel-Aviv und auch andernorts im ganzen Land und es herrschte vielfach ein Gefühl, daß uns der Kapitän am Steuerrad direkt auf einen Eisberg zusteuert.
Zwei Wochen zuvor befassten sich die Medien mit dem Jubiläum des Yom-Kippur-Krieges von 1973. Ich wurde zu einer akademischen Konferenz eingeladen, die sich mit ihm befasste. Ein Krieg, über den selten gesprochen wird. Es sind das Scheitern, das Misstrauen, die Verlassenheit und der Krieg, der so viele Opfer forderte, die ihn zu einem nationalen Trauma machten. Am 22. September 2023 wurden die Fernseh-Nachrichtenmagazine mit dem Titel „Die Versäumnisse von 1973“ eröffnet, während die Zahl „73“ sich mit der Zahl 23 abwechselt.
„Der Jom-Kippur-Krieg bekommt in diesem Jahr eine besondere Bedeutung, es ist das Jubiläumsjahr dieses schrecklichen Krieges. Das Ausmaß des Scheiterns, die falsche Konzeption, die dazu führte, daß die Führung alle Warnungen und roten Ampeln ignorierte und mit offenen Augen in den Abgrund ging – glauben Sie, daß ein solches Versäumnis auch heute noch passieren kann? 54 Prozent des Publikums glauben das. Sieht die Öffentlichkeit etwas, was die Führung nicht sieht?“. So eröffnete Danny Kushmaro das Freitagabend-Magazin am 22. September 2023, genau zwei Wochen vor dem 7. Oktober.
Heute Morgen haben die Medien diese Sendung erneut im Fernsehen ausgestrahlt, als wäre es eine Prophezeiung, die wahr geworden wäre.