Yulis Tagebuch, Folge 61


Irgendwann, vielleicht morgen, alles ist wieder normal

Dieses Wochenende lag ich größtenteils im Bett. Ich konnte die Realität nicht ertragen, wollte meine Augen schließen und in Träume versinken. Ich wollte mich einfach ausschalten, denn manchmal kann ich die Schwäche nicht ertragen.

Dazu kommen periodisch auftretende unerträgliche Bauchschmerzen. Ich habe alle denkbaren Untersuchungen machen lassen, aber das Resultat war immer dasselbe: Ich habe nichts …
Es ist ein Schmerz, der aus der Realität durch meine Gedanken in meinem Kopf produziert und vom Geist in den Körper weitergetragen wird. Der Schrei, der aus dem Mund nicht herauskommt, bahnt sich wie ein Messer seinen Weg durch starke Stiche in den Bauch. Ein Schmerz, der vielleicht in besserenZeiten verschwindet?

Aber dieses Wochenende war hart für mich. Es war schwierig für mich, auch weil wir im letzten Monat mehrmals miteinander gesprochen haben. Er kam zurück und ging wieder weg, und es wiederholt sich die ganze Zeit. Ein bisschen wie ein kleines Kind, das immer wieder zu seiner Mutter zurückkommt, um ein Kuss von ihr zu bekommen, wenn es schmerzhaft ist. Ich hatte das Gefühl, er braucht es, die Liebe zu spüren, damit er wieder gehen konnte. Letztendlich haben wir über seine Taten gesprochen. Er meinte, er sei mir gegenüber unfair, und dass ich ihm das nicht erlauben sollte. Ich nickte zustimmend, aber es tat auch weh. Widerwillig und verletzt, dass er mich gebeten hatte, ihn aufzugeben, blockierte ich seine Nummer. Und so legte ich mich traurig im Bett mit Bauchschmerzen.

Mir war klar, dass am „Simchat Tora“, jenem Tag, als vor einem Jahr alles begann, nicht ruhig vergehen würde. Und es hat mich auch gestresst. Außerdem – vergeßt es nicht, dass ich noch auf den Angriff auf den Iran wartete, und weil unser Angriff dann wieder eine Reaktion hervorruft, warte ich auch auf diese. Also, obwohl es gerade nichts passiert, warte ich, bis das zukünftige Ereigniss vorbei ist. Mit andere Worten könnte man so etwas psychischen Terror nennen. Am letzten Donnerstag war es dann allerdings relativ ruhig.

Später kam die Nachricht, dass viele Soldaten im Kampf im Libanon und in Gaza gestorben sind. Ich hatte keine Lust mehr zu feiern, wollte halt wieder ins Bett, da ich ein wenig mit dem Laptop zu arbeiten versuchte.
Am nächsten Tag, am Freitag, heulten die Sirenen gegen 20.30 Uhr. Mein Sohn hatte sich gerade zum Abendessen (ja, es war eigentlich viel zu spät dafür) hingesetzt. Wir gingen also zum Treppenhaus, als sieben Explosionen nacheinander zu hören waren, einige näher, einige offenbar weiter entfernt.
Als wir das Haus zurück kamen, bemerkte ich, dass mein Sohn mit der Gabel in der Hand saß, sie hin und her schüttelte und nicht isst. „Bitte, es ist sowieso zu spät jetzt für Abendessen, also, nicht spielen jetzt, ja?“ –„Aber Mama, meine Hände zittern, ich kann die Gabel nicht halten.“
Es war nicht das erste Mal, dass ich ihn verängstigt sah, aber erstmalig sah ich, wie das Trauma in seinen Körper absorbiert wurde; und ich hasste die ganze Welt. Ich umarmte ihn sanft: „Mein Lieber, ich hatte auch Angst, aber jetzt ist alles wieder gut. Wir wissen doch, was zu tun ist, falls es zu einem Alarm kommt, und Du machst es ganz großartig.“

Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich im Bett in mir selbst versunken war und mich weigerte, mich der Realität zu stellen, und da es jemanden gab, der mich brauchte, um für ihn stark zu

sein. Ich bin wütend auf mich geworden. Am nächsten Tag war er plötzlich von den Sirenen eines Polizeiautos erschrocken. Ehrlich gesagt, war ich es auch. Genaugenommen dröhnen sowieso ständig Sirenen in meinem Kopf.

Gestern hat Israel den Iran angegriffen, heute war der erste Tag nach den jüdischen Feiertagen. Endlich wieder Alltag. Gegen11.00 Uhr überfuhr ein israelischer Araber mit seinem Lastwagen Zivilisten, die an einer Bushaltestelle warteten. Etwa 40 Menschen wurden verletzt. Die meisten der Verletzten sind Rentner.

Kürzlich, am 7. Oktober, kehrten Mia und Itai Regev nach Re’im zurück, von wo sie nach Gaza entführt wurden. Heute ist nach Jüdischem Kalender der Gedenktag für die Opfer des letzten Krieges seit dem 7. Oktober.

Also, ich möchte schreiben, aber mein Kopf explodiert vor lauter vielen Dingen, die in jedem Moment hier passieren, und ich möchte am liebsten untergehen, vergessen, mich von allem trennen. Aber wenn ich an die Hände denke, die versuchen, die Gabel zu ergreifen und dabei scheitern, fühle ich mich wieder stark genug, um gegen mich selbst anzukämpfen – egal, was uns widerfährt.

Eine maßstabsgetreue Nachbildung des Anne-Frank-Anbaus wird in New York eingeweiht* Am 27. des Jahres, anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz, wurde in New York City eine Nachbildung der echten Besteigung von Anne Franks Hinterhaus eingeweiht. Die Ausstellung umfasst 125 Artefakte aus dem Anne-Frank-Haus-Museum, die die Geschichte von Annes Leben erzählen und ihre Widerstandskraft (Quelle Comunitaria PLUS)