Yulis Tagebuch, Folge 60


Der Schlangenkopf

Am Freitag wurde Yahya Sinwar getötet. Diese Nachricht erreichte uns erst am Samstag. Sie war zunächst zurückhaltend formuliert: „… dass die Armee die Möglichkeit prüft, dass er getötet wurde“, gefolgt von weiteren Meldungen über die aufkommenden Beweise bis zur offiziellen Meldung am Abend, dass er tot ist. 

Von Anfang an ging ich davon aus, dass er getötet wurde, denn kein Militär-Sprecher veröffentlicht solche Meldung während eines Krieges, wenn man sich nicht hundertprozentig sicher ist. Die Öffentlichkeit hat nicht die nötige psychische Stärke und Nerven für Spekulationen über die Tötung desjenigen, der den 7. Oktober initiiert hat. Das ist nicht die passende Zeit für eine Art „Trailer“ von „Thriller-Serien”. Yahya Sinwar starb nicht bei einer großangelegten Operation, wie ich und viele andere dachten, dass es geschehen würde. 

Letzendlich, die Geschichte Israels bei der Tötung von Terroristen weckt zweifellos Erwartungen, dass es sich um einen ausgeklügelten Einsatz von Spionen oder dem Shin-Bet handelte, die es schafften, ihn zu fangen. Mindestens hätte es eine Tötung aus der Luft nach einer erfolgreichen Verfolgung sein müssen. Wir waren überrascht zu erfahren, daß diejenigen, die ihn töteten, nicht wußten, daß es er war. Es waren junge Soldaten, die ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen hatten. Weder eine Kommandoeinheit, noch der Shin-Bet. Die Soldaten haben die Terroristen in dem Gebäude gesehen, aber keine Ahnung gehabt, wer sie waren. Eine Panzereinheit mit einer Drohne und Schulter-raketen brachte das Gebäude, in dem er sich aufhielt, zum Einsturz.

Gut, daß er tot ist. Ohne diesen Menschen ist die Welt eine bessere geworden. Er war derjenige, der seine Männer schickte, um Männer, Frauen und Kinder zu vergewaltigen. Er war derjenige, der seine Männer geschickt hat, um ganze Familien in ihren Häusern zu ermorden und sie vor den Augen anderer zu foltern, Babys, Kinder, Frauen und alte Menschen lebendig zu verbrennen – ich hoffe, er hat letzte Woche die Tore der Hölle betreten.

Es hat mich jedoch enttäuscht, daß dieser Mann gestorben ist, als wäre er nur ein irgendein Terrorist. Einerseits ist es klar, daß es keinen Bedarf oder Wunsch gibt, einen Mythos um seinen Tod zu erschaffen. Andererseits, ich finde es unglaublich, daß dieser Mensch auf dem Bild, der tot in den Ruinen wie nichts liegt, derjenige ist, der uns ein Jahr lang das Leben so miserabel  machte und über Generationen hinweg ein nationales Trauma mit der größten Zahl an Opfern und Todesfällen in der Geschichte des Staates Israel verursachte, alles das macht mich auch wütend und traurig.

Das Filmmaterial von Sinwars Tod wurde von der BBC analysiert und das Haus, in dem er zuletzt gesehen wurde, war eines der wenigen teilweise zerstörten Gebäude in. einem Viertel mit erheblichen Schäden.(Quelle BBC news, World of secrets)

Worüber haben wir eine Minute später gesprochen, fragen Sie? Über die Entführten, über das Ende des Krieges, darüber, was nach Sinwars Tod in Gaza passieren wird. Wird es für ihn einen Ersatz geben, wie für jede Terrororganisation (Hisbollah, al-Qaida, ISIS usw.)? Könnte Sinwars Bruder, Muhammad Sinwar, der Gilad Shalit in der Gefangenschaft gehalten hat und Kommandeur der Militärbataillone der Hamas ist, Yahya Sinwar ersetzen? 

Wird Khalad Mashal, der sich in Katar aufhält, nun Vorsitzender des Politbüros der Hamas? Wird die Hamas wieder auferstehen, so, als wäre nichts geschehen? Was muss jetzt getan werden, um unsere Interessen zu fördern? Der Rückkehr der Entführten, der Rückzug aus Gaza, Sicherheit an den Grenzen, die Rückkehr der Bewohner nach Hause in die Kibbuzim. Kann es in Gaza jetzt eine politische oder militärische Lösung geben?

Seit dem 7. Oktober stehen die Kibbuzim im Süden menschenleer. Die lebendigen Gemeinschaften, die dort vor dem 7. Oktober zu Hause waren, existieren nicht mehr. Die Überlebenden gingen  und kommen nicht zurück. Die verbrannten Häuser und Flächen, das Gefühl eines Friedhofs überall, lassen keine Erholung zu, insbesondere, weil noch immer Raketen aus Gaza abgefeuert werden.

Außerdem ist die permanente Bedrohung aus der Luft einfach nicht zu ertragen. Es ist schwer, sie aufzuspüren und abzufangen. Heute hat eine Drohne das Haus von Ministerpräsident Netanyahu getroffen. Vor ein paar Tagen wurden vier Soldaten getötet, sieben schwer und weitere 60 Soldaten leicht verletzt, als eine solche Drohne in einer Militärbasis im Zentrum des Landes explodierte. 

Alles das geschieht nur 25 Minuten (Luftlinie) von uns entfernt. Und irgendwann soll auch Israel den Iran angreifen. Bald, vielleicht morgen. Vielleicht übermorgen. Manchmal habe ich beim Tippen eine Schwäche in meinen Fingern und ich bin nur noch müde. Genaugenommen bin ich ständig müde. Ich habe seit meiner Highschool-Zeit nicht mehr so viel geschlafen wie jetzt.