„Krieg, Krieg …wisst Ihr denn was Ihr tut?“


aus Egmont, von Johann Wolfgang von Goethe


„Es ist Nacht, die Ehepaare legen sich in die Betten. Die jungen Frauen werden Waisen gebären!“ (B.Brecht)

Ich bin ein solches Waisenkind, mein Vater wurde seit einem Panzerangriff, der in Richtung Wolga zielte, vermisst. Ein unauslöschliches Bild meiner Kindertage begleitet mich bis heute: die Ankunft von Transporten von verwundeten und verstümmelten Kriegsgefangenen auf allen erreichbaren Bahnhöfen zu erwarten, immer auf der Suche dann durch die Reihen der verstümmelten Männer zu gehen, das unaussprechliche Elend aus nächster Nähe zu erfahren und immer wieder allein nach Hause zurückzukehren.

In meiner Mädchenklasse, die 36 Schülerinnen umfaßte, hatte ein einziges Kind einen Vater. Wir fragten es immer wieder neugierig aus, wie das denn so sei und schlichen ihm nach.

Faktisch alle Männer, die ich kannte, waren durch die Kriegshölle gegangen. Vaters Eltern wurden achtmal ausgebombt, sein Bruder fand im Januar 1942 in Russland den Tod. Meine Mutter rettete das nackte Leben aus dem brennenden Hannover. Auf eine Güterzuglokomotive gebunden und unter Beschuss im Winter 1941 nach Leipzig gebracht, kam ich dort zehn Tage zu spät zur Welt. 1944 als zweijähriges Kind war ich drei Tage verschüttet, der Mutter gelang zusammen mit einem zehnjährigen Jungen, mich auszugraben, 15 Menschen waren tot neben uns. Im Februar 1945 wurde ich Augenzeuge des verheerenden Bombenangriffs auf Dresden. Wir waren evakuiert worden, befanden uns etwa zehn Kilometer südlich des Stadt und sahen den Feuerzauber voller Angst, dass er auch uns treffen könnte. Ich lernte in dieser Nacht meinen Namen auswendig – zu viele verwaiste Kinder irrten bereits namenlos herum.

Dann Tag der Befreiung – die kleine Stadt wurde zur Plünderung und Vergewaltigung freigegeben … es war eines der ersten Worte, die ich lernte, die 60jährige Tante hatte es getroffen. Dazu Hunger, Schwarzmarkt, langsames Einrichten in der neuen Wirklichkeit. Die Familie war in alle Winde zerstoben, und noch nicht volljährig, verlor ich die Mutter.

Ich fand Freunde, heiratete zweimal, aber jeder dieser Männer schleppte ein Kriegstrauma mit sich herum. Sie schrieen manchmal nachts oder sprachen viel, im Alter fast ausschließlich davon. Ich hörte zu, um so auch etwas über den schmerzhaft fehlenden Vater zu erfahren. Später, nach dem Medizinstudium in Hamburg, ging ich in den Schwarzwald, dort übernahm ich für fast 16 Jahre die Leitung einer Kurklinik für Kriegsblinde. Es waren entstellte, an Gliedern amputierte und schwer psychisch traumatisierte Menschen darunter. Taub- Blinde, Männer zuweilen selbst ohne Hände, keiner von ihnen hat später jemals seine Frau, seine Kinder, seine Freunde sehen können. Aber es waren wunderbare Menschen darunter – engagiert, überzeugt, dass ihr Schicksal als Schlussstrich aller Kriege stehen würde. Sie haben studiert, gearbeitet und waren stolz darauf. Vor etwa fünf Jahren wurde das letzte Haus der Kriegsblindenversorgung geschlossen

Den Balkankrieg erlebte ich wieder näher durch Kontakte zu jugoslawischen Freunden und konnte oft helfen. Der Krieg Russlands mit der Ukraine ist für mich emotional besonders schwierig zu verkraften. Deutschland hat die Sowjetunion im Juni 1941 überfallen – was haben wir dort zu suchen gehabt ? Millionen russischer Menschen sind dadurch gestorben – mein schöner junger Vater in seinem deutschen Panzer an der Wolga … verschollen! Jahrzehntelange Albträume, immer wieder enttäuschte Hoffnung auf eine Rückkehr.

Und nun Israel!! Vom Fluss ins Meer, wie skandiert wird und das deutsche NIE WIEDER hört sich nur noch kläglich an. Meine Kultur ist christlich-jüdisch, alles was wir seit dem Mittelalter und besonders seit der Aufklärung an deutscher Kultur haben, ist wie eine Doppelhelix aus diesen beiden Strängen Judentum und Christentum gewachsen, hat sich befruchtet und in der Konkurrenz immer schöner entfaltet. Können Sie sich ein Leben ohne Heinrich Heines Lyrik vorstellen? Sein „Denk ich an Deutschland in der Nacht“ ist wieder hochaktuell, und wird von links und rechts benutzt. Stefan Zweig, Lion Feuchtwanger, die Familie Thomas Mann, Franz Werfel, Gustav Mahler, Felix Mendelssohn Bartholdy – er spielte Goethe als Kind in Weimar vor. Wir hatten mit jüdischen Menschen zusammen gelebt und haben geduldet, dass man sie ohne Verteidigung aus ihren Wohnungen holte und irgendwohin schickte …, es war das Gas. Es gab Schiffe, mit denen sie fliehen wollten, aber kein Land der Erde hat sie an Land gehen lassen.

Jetzt, nach diesem grauenvollen Anschlag der HAMAS sitzen wir eingeschüchtert da und meinen: „Ja, aber man muss doch auch die andere Seite verstehen …?“ Da ist sie wieder, diese törichte Meinung, wenn die Juden aus Palästina weg sind, wird es dort Frieden geben. Ja, vielleicht sind sie dann tot oder in einem neuen Theresienstadt angesiedelt…

Krieg ist das Schrecklichste, was es gibt, es wirkt durch Generationen und verroht die Menschen, verstümmelt die Körper und die Seelen für immer. Wie soll die Welt denn damit besser, grüner, schöner werden? Jeder Kampf gegen CO2 ist doch lächerlich, wenn nebenan dieses Entsetzliche geschieht!

Logo des Bundes der Kriegsblinden Deutschland e.V.aus Wikipedia

Yuli aus Haifa lässt uns, so oft sie es schafft, in Tagebuchform an ihrem jetzigen Leben teilhaben. Sie ist Kulturwissenschaftlerin, hat in Deutschland promoviert, publiziert hierzulande und hat einen fünfjährigen Sohn. Wie lebt es sich da, unter der Bedrohung und voller Angst…? Sie können es auf unserer Seite lesen. Bitte leiten Sie den Link weiter, denn wir wollen, ganz so, wie es Victor Klemperer tat, Zeugnis ablegen!

Andere europäische Länder können vielleicht ein anderes Verhältnis zu Israel haben und dafür Argumente in’s Feld führen, für uns Deutsche gilt das nicht. Wir stehen angesichts unserer Geschichte im 20. Jahrhundert in einer ethischen und moralischen Verpflichtung zu Israel, in unserer Kultur der Erinnerung wird das immer so sein. Nachkommende Generationen trifft keine indivduelle und auch keine kollektive Schuld mehr, aber zur Verbindung von Vernunft und einer angemessenen ethischen Haltung sind wir unauflöslich verpflichtet.

A.C.M.