Yulis Tagebuch, Folge 11


“Don’t!” 

Wir gingen zurück zu meinen Eltern und sie überredeten mich, eine Nacht länger zu bleiben und erst morgen zurückzufahren. Sie brauchten aber nicht viel, um mich zu überzeugen. Im Süden hörte der Raketenbeschuß nicht auf, und die Bewohner wurden ins Landesinnere evakuiert, ganz viele sind hier angekommen. Im Norden sind die Bewohner nur auf ihre Häuser beschränkt, und die öffentliche Befürchtung war, dass im Norden genauso ein Angriff wie im Süden passieren könnte. Wenn Hamas-Terroristen aus dem Gazastreifen auf Motorrädern bis nach Aschkelon, etwa eine Stunde von Tel Aviv, kamen, dann können die Hisbollah und ihr Hamas-Partner auch Haifa erreichen. 

Inzwischen, nennt die Abendmoderatorin Namen der Ermordeten. Im Kibbuz Be’eri wurden heute noch 100 Leichen gefunden. Die Identifizierung dieser Opfer kann aber Wochen oder sogar Monate dauern. Es gab diejenigen wo man dachte, sie seien entführt worden und später wurden ihre sterblichen Überreste zu Hause oder auf dem Feld entdeckt. Und es gab diejenigen von denen man dachte, sie seien gestorben, und später stellte sich heraus, dass sie oder ihre Leiche von Hamas entführt worden waren. Vier Monate später endet die Liste des Tötens noch nicht. 

Am Abend hielt Biden seine Rede. Die Worte haben mich sehr berührt und zum ersten Mal seit dem 7. Oktober bin ich unter der Decke weinend zusammengebrochen. Ich wollte so sehr an einem sicheren Ort sein, und wenn es möglich wäre, neben Biden. Denn als er sprach, brachte er diese wahnsinnige Situation in eine Ordnung. Er war angeekelt und empört von den Massakern und von seinem Gesichtsausdruck allein konnte man sein Entsetzen über das Grauen spüren. Danke, Biden! Der Staat Israel dankt Ihnen! Dieses Land hat es verdient, eine gute Führung zu haben. Während der israelische Premierminister seit dem 7. Oktober wie gelähmt und verschwunden ist, hat Biden uns in einer Art gerettet, psychisch meine ich.

Die Hisbollah, Irans Proxy, verfügt über 100.000 Langstreckenraketen, die von Norden die Sinai–Halbinsel erreichen können. Sie verfügen über Treffergenauigkeit und nachrichtendienstliche Fähigkeiten und ganz vielen Kämpfern, die nur darauf warten, Zivilisten zu töten. Deshalb fange ich zu diesem Zeitpunkt an zu denken, mit meinem Sohn zu fliehen. Meine Eltern fliehen nie, egal was passiert. Seit 1948 haben sie mit die gesamten Konflikte durchgemacht und nichts kann sie zum Einpacken bringen.

Und trotzdem, ich habe ihnen aufgeregt gesagt, “diesmal ist es anders. Denn selbst am Yom-Kippur-Krieg, als Israel fast erobert wurde, kämpften die Soldaten außerhalb der Grenzen des Landes, nicht innerhalb der Städte, nicht in den Häusern. Babys wurden nicht ermordet, Kinder nicht entführt.” Das Trauma von Yom Kippur hat genau in dieser Woche seinen 50jährigen Gedenktag, und wenn irgendetwas diesen Krieg in der Erinnerung marginalisieren kann, ist es der 7. Oktober 2023. Aber niemand kann meine Eltern überreden, das Land zu verlassen. 

Am nächsten Tag wachte ich auf und dachte mir, dass wir trotzdem nach Hause fahren. Wenige Stunden später erkannte ich, dass die Dinge eskalieren. Nun wurden ebenso die Einwohner in Haifa gebeten, in ihren Häusern zu bleiben. Es gab Besorgnis über das Eindringen von Drohnen und anderen Flugzeugen, die vom Libanon aus in israelisches Territorium eindrangen, zusätzlich zum Verdacht von terroristischer Infiltration aus dem Libanon. Gleichzeitig hallten die Sirenen weiter in verschiedenen Teilen des kleinen, verwundeten Landes, das ständig mit Raketen bombardiert wird. Mir wurde es langsam klar, dass ich nicht zurückkehren kann und solange die Schulen geschlossen sind, bleiben wir hier. 

Im Laufe der Tage wurde es immer eindeutiger, dass der Terror vom 7. Oktober alle traf. 

Bei den Ereignissen vom 7. Oktober wurden Zivilisten aus mehr als 30 Ländern entführt oder ermordet. Aus Ländern wie Tansania, Russland, Rumänien, Portugal, Peru, Serbien, Kolumbien, Österreich, Äthiopien, Argentinien, den Philippinen, Georgien, Sri Lanka, Frankreich, Mexiko, Dänemark, Ungarn, Italien, Thailand, Kanada, Niederlande, Polen, USA, Frankreich, Deutschland und mehr. Aus unterschiedlichen Religionen Drusen, Muslime, Christen, Buddhisten und Juden. Der Terror vom 7. Oktober sah jeden, der mit Juden in Frieden lebte, jeden, der nicht gegen uns kämpft, jeden, der nicht Teil des radikalen Islam war, als einen Ketzer, und von daher sollte er oder sie gnadenlos getötet werden. Dies ist kein Krieg der Hamas gegen die Juden. Das ist kein Terrorismus gegen die Zionisten. Es ist ein Verbrechen gegen den Wunsch der Menschheit, in Frieden, in Freundschaft und Brüderlichkeit aller Religionen, Farben, Geschlechter und Neigungen, in der Welt zusammenzuleben. 

Nurit Galron: Yaldut Nishkachat (A forgotten childhood) 

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