„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit, sollte man ihn nicht unergründlich nennen?“


(Mit diesem Satz beginnt Thomas Mann seine Joseph-Tetralogie.)

Palästina ist das „Gelobte Land“, in das Moses die Kinder Israels auf Geheiß seines Gottes aus der Ägyptischen Gefangenschaft führte. Die Judenheit siedelte hier, bis der römische Kaiser Titus Vespasianus Jerusalem eroberte und den Tempel zerstörte; danach begann der Exodus. Nachdem ein jüdischer Aufstand unter Bar Kochba (132-135 n.Chr.) gegen die römische Kolonialmacht gescheitert war, durften Juden Jerusalem nicht mehr betreten.

Zu Beginn des 7. Jhs. n. Chr. gründete Mohammed († 632) seine Religion; in relativ kurzer Zeit entstand ein islamisches Weltreich, das von Südspanien bis nach Indien reichte. Die einzelnen Teilreiche waren verhältnismäßig selbständig, aber die Einheit der arabischen Kultur wurde durch die gemeinsame Religion (den Islam) und Sprache (Arabisch – denn der Koran durfte nicht übersetzt werden) garantiert. In den 630er Jahren wurde Palästina von den Arabern besetzt (638 wurde Jerusalem erobert) und gehörte seitdem zum Arabischen Großreich.

In dieser frühen Zeit waren die Araber gegenüber Andersgläubigen viel toleranter als die Christen: Sie wurden in ihrer Religionsausübung nicht behindert, mußten nur eine Sondersteuer zahlen. Zwischen Arabern und Juden entwickelte sich z. B. in Südspanien, wo es große jüdische Gemeinden gab, ein fruchtbarer kultureller Austausch: Die älteste spanische Lyrik, die Harğas, verdankt arabischen Einflüssen mehr als den Gedichten der okzitanischen Trobadors. Fast alle arabischen Herscher und Funktionäre hatten jüdische Ärzte, weil die besser ausgebildet waren als die arabischen.

Vom Ende des 11. (Erster Kreuzzug 1096-1099) bis zum Ende des 13. (sechs weitere Kreuzzüge bis 1270) Jahrhunderts führten die europäischen Staaten, angeführt von Frankreich und Deutschland, eine Reihe von Eroberungskriegen gegen die Araber in Palästina unter dem Vorwand, die Sicherheit christlicher Pilger, die zum Heiligen Grab nach Jerusalem reisten, wäre nicht gewährleistet – daß es ein Vorwand war, zeigt sich schon daran, daß sich die Teilnehmer am vierten Kreuzzug (1202-1204) in der Adresse geirrt und statt Jerusalem das christliche, wenn auch griechisch-orthodoxe Konstantinopel erobert und geplündert haben. Am erfolgreichsten war der erste Kreuzzug, der zur Einnahme von Jerusalem und der Errichtung des „Lateinischen Königtums“ (Gottfried von Bouillon) führte, das mit der Rückeroberung der Stadt durch Sultan Saladin 1187 endete. 1291 verloren die „Lateiner“ ihren letzten Stützpunkt in Palästina und diese Episode in der Geschichte des Landes war beendet.

In den Teilstaaten des islamischen Großreichs wechselten die Dynastien häufig, vom Prinzip der Toleranz gegenüber Andersgläubigen wurde aber nicht abgewichen. Jüdische Gemeinden in den europäischen Staaten hatten wechselvolle Schicksale: In Spanien herrschte seit dem 15. Jahrhundert katholischer Fanatismus, der 1492 zur Vertreibung der Juden führte (wenig später auch aus Portugal; viele gingen nach Konstantinopel). In vielen Ländern und Städten gab es Repressionen, Einschränkungen der Freizügigkeit, Berufsverbote, öffentliche Demütigungen, etc.etc. Erst seit Ende des aufgeklärten 18. Jahrhunderts setzte sich in den meisten Staaten langsam die Idee der „Emanzipation“ (Gleichberechtigung) der Juden durch. Die rechtliche Gleichstellung wurde in den fortschrittlichen Staaten im Laufe des 18. Jahrhunderts erreicht; in Rußland dagegen gab es häufig Pogrome gegen die jüdischen Gemeinden. Als Reaktion darauf kam im 19. Jahrhundert die Idee der Gründung eines jüdischen Staates in Palästina auf, die in der Judenheit durchaus kontrovers diskutiert wurde. Dafür konnte sprechen, daß die Juden niemals aufgehört haben, Palästina als ihre Heimat zu betrachten: Der traditionelle Gruß am Sedarabend und Versöhnungstag lautet: „Nächstes Jahr in Jerusalem.“

Das wichtige Buch von Theodor Herzl (Der Judenstaat – Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage, 1896) entstand unter dem Eindruck des Antisemitismus, der sich in Frankreich während der Affaire Dreyfus ausbreitete: Der jüdische Hauptmann Alfred Dreyfus war aufgrund fadenscheiniger Beweise des Verrats militärischer Geheimnisse (gar so geheim waren sie übrigens gar nicht!) an Preußen für schuldig befunden, öffentlich degradiert und auf die IÎle du Diable, die „Teufelsinsel“ deportiert wurden. Als erste Zweifel an der Schuld des Verurteilten geäußert wurden, wertete die reaktionäre Rechte das als Angriff auf die Ehre der französischen Armee, die nach dem Debakel von 1870/71 wirklich keine weiteren Beschädigungen vertragen konnte.

Antisemitische Pamphlete wie das verquaste 1210-Seiten-Werk (!) La France Juive von Édouard Drumont, das schon 1886 erschienen war, erhielten durch den Prozeß 1894 ungeahnte Aktualität. Die Diskussion wurde von den Verteidigern der Armee mit Schaum vor dem Mund geführt; Marcel Proust schildert (in Die Suche nach der verlorenen Zeit), wie der Streit über Schuld oder Unschuld von Dreyfus Familien entzweite und jahrzehntealte Freundschaften in die Brüche gehen ließ. Der Haß, der sich hier äußert, ist erschreckend; die Reaktion, mit diesen Zeitgenossen nicht länger Tür an Tür wohnen zu wollen, durchaus folgerichtig.

Palästina war seit dem frühen 16. Jahrhundert Teil des Osmanischen Reiches. Im Ersten Weltkrieg war die Türkei mit dem Deutschen Reich verbündet; nach Kriegsende wurde das Reich zerschlagen. Palästina wurde von britischen Truppen besetzt, 1920 erhielt Großbritannien ein Völkerbundsmandat für das Land.

Die Voraussetzungen für die Gründung eines jüdischen Staates wären günstig gewesen, so scheint es: Am Ende des 19. Jahrhunderts war Palästina verhältnismäßig dünn besiedelt (von muslimischen Arabern, aber es gab jüdische und christliche Minderheiten), man sollte meinen, für eine jüdische Gemeinschaft hätte Platz sein müssen. Bereits 1917 hatte Großbritannien in der Balfour-Deklaration „die Gründung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk“ versprochen. Andererseits hat man versucht, die jüdische Einwanderung mit brachialer Gewalt so weit wie möglich einzuschränken, um die guten Beziehungen zur arabischen Welt nicht zu gefährden – hat sich niemand überlegt, daß man das dem ramponierten Nervenkostüm traumatisierter KZ-Insassen nicht zumuten kann? Und man dem arabischen Bevölkerungsteil Zusagen hinsichtlich seiner Unabhängigkeit gemacht, sie dann aber nicht eingehalten, womit auch auf der anderen Seite Ängste geschürt wurden. Es scheint, die Schlafwandler, die die Welt 1914 in die Katastrophe des Weltkriegs geführt hatten, waren immer noch nicht aufgewacht – und sie schlafen, wie Barbarossa im Kyffhäuser, noch immer!

A.G.